Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Doch Künzel hatte mit seinem Antrag den Vorsitzenden ins Mark getroffen, und dieser reagierte mit allen Anzeichen von Panik.
Am Abend des 13 . Januar 1977 rief Prinzing Rechtsanwalt Künzel an, der Jahre zuvor bei ihm Gerichtsreferendar gewesen war. Er erklärte dem verdutzten Verteidiger, daß er den Eindruck gehabt habe, Künzel sei der Ablehnungsantrag sehr schwergefallen. Dann machte der Richter dem Verteidiger Vorhaltungen. Der Antrag sei für ihn das Schlimmste in den bisher zwei Jahren des Prozesses. Schließlich mache es für ihn einen Unterschied, von welcher Seite der Verteidiger ein Ablehnungsantrag komme. Jetzt werde die Presse wieder über ihn herfallen.
Künzel erwiderte, ihm sei seine, Prinzings, Stellungnahme zu Schilys Ablehnungsantrag unverständlich gewesen. Indem er auf den Vorwurf, er stehe in Kontakt zu Richtern übergeordneter Instanzen, lediglich erklärt habe, er sage über private Gespräche nichts aus, habe er der Vermutung Nahrung gegeben, solche Kontakte bestünden tatsächlich.
»Versetzen Sie sich doch einmal in die Lage von Frau Ensslin«, sagte der von den Angeklagten oftmals beschimpfte »Zwangsverteidiger«. »Die muß sich doch nun sagen, daß eine künftige Revision sinnlos ist, weil ja ein Austausch zwischen den beteiligten Senaten stattgefunden hat, mit dem Ziel, ein revisionssicheres Urteil zu erstellen.«
Prinzing antwortete: »Das ist doch der Frau Ensslin egal. Das kommt doch alles von Rechtsanwalt Schily.«
»Ich kann mir das nicht vorstellen, wenn ich mir die Lage von Frau Ensslin vergegenwärtige.«
»Das sehen Sie abstrakt«, meinte Prinzing. »Ich weiß konkret, daß es Frau Ensslin egal ist.« Der Richter erzählte, er habe von den Anstaltsbediensteten erfahren, die Angeklagten seien über die sogenannte Aktenaffäre ungerührt und hätten kaum Interesse gezeigt. Einer von ihnen habe lediglich gesagt: »Was ist denn das wieder für eine Kiste von den Anwälten.«
Dann klagte Prinzing darüber, welcher Belastung das Gericht und speziell er selbst durch diese Sache ausgesetzt seien: »Ich bin nahezu am Ende. Wenn ich das nicht durchhalte, Herr Künzel …«
Theodor Prinzing hielt es nicht durch. Als Verteidiger Heldmann das nächtliche Telefonat, von dem Künzel ihn unterrichtet hatte, zum Anlaß eines neuen Befangenheitsantrags nahm, konnten auch Prinzings Richterkollegen ihren Vorsitzenden nicht mehr retten. Sie erklärten: »Darauf, ob Dr. Prinzing befangen ist oder sich befangen fühlt, kommt es entscheidend nicht an. Maßgebend ist, ob aus der Sicht der Angeklagten vernünftigerweise Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters gesetzt werden kann. Diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen.«
Damit war der 85 . Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden erfolgreich. Er wurde abgelöst und durch den Beisitzenden Richter Dr. Eberhard Foth ersetzt.
Am 8 . Februar 1977 wurde Brigitte Mohnhaupt aus der Haft entlassen. Volker Speitel und Elisabeth von Dyck holten sie vom Knast ab. Kurz darauf traf sie Peter-Jürgen Boock in einer konspirativen Wohnung am Baden-Powell-Weg in Amsterdam.
Es war eines der Appartements, die später auch bei der Schleyer-Entführung genutzt wurden.
»Erst mal fand ich sie ’ne faszinierende Frau«, erinnerte sich Boock später, »und wir haben uns eigentlich sofort liiert miteinander, muß ich dazu sagen, und sind dann fürs erste nicht von der Seite des anderen gewichen. Und das zweite war, sie war nahe an denen dran gewesen, und das war für ’ne längere Zeit, und ich wollte alles wissen. Ich wollte wissen, wie geht das da drin zu, was machen die, und da haben wir wirklich Tage damit verbracht, daß sie mir erzählt hat, was da alles vorgegangen ist, wer wie drauf ist, auch Sexualität, wer da wann mit wem gepennt hat und was sich da für Konstellationen gebildet hatten.«
Die beiden zogen sich ins Schlafzimmer zurück, lagen Arm in Arm im Ehebett, und Brigitte begann, von den Stammheimer Gefangenen zu erzählen. Es würde ihnen psychisch ziemlich dreckig gehen, vor allem hätten sie Angst, umgebracht zu werden, das sei keine Einbildung, sondern eine sehr konkrete Gefahr. Zwar glaube keiner der Gefangenen, daß Ulrike Meinhof ermordet worden sei, obwohl man dies nach außen immer so dargestellt habe. Aber für sich selbst befürchteten sie das Schlimmste. Die Gefangenen hätten einfach keine Lust mehr auf einen weiteren gescheiterten Befreiungsversuch, berichtete Brigitte Mohnhaupt nach den
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