Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
die Anregung geben, daß im Protokoll nur der Begriff ›Nicht-Wohnzellen‹ erscheint.«
Wernitz beruhigte ihn: »Das wird nur in der Geheimschutzstelle zugänglich sein. Das Protokoll wird ja nicht herausgegeben.«
Vogel, zum Kanzleramtschef Schüler gewandt: »Nun haben Sie vorhin etwas gesagt, was ich in diesem Zusammenhang als wichtig empfunden habe. Daß Ihr zuständiger Verbindungsreferent [des BND ] in Stuttgart reagiert hat: ›Wenn ich da helfen soll, will ich mir angucken, was da passieren soll.‹ Ich nehme also an, er hat sich angeguckt, was passieren sollte, und ist dabei sicher auch zu der Erkenntnis gekommen, daß hier in Nicht-Wohnzellen – wenn ich mich diesem Sprachgebrauch anschließen soll – installiert werden sollte. Die Frage, die sich dann stellt, ist doch die, mit welchem Erkenntnisstand dann technische Hilfe geleistet wurde. ›In Nicht-Wohnzellen‹ kann doch im Grunde nur bedeuten, daß Besucherverkehr im weiteren Sinne Gegenstand der Abhörmaßnahmen sein mußte, und da es, außer bei Anwälten, andere rechtlich zugelassene Möglichkeiten der Kontrolle des Besucherverkehrs gibt, ist für mich fast zwingend, Herr Schüler, daß hier nur das Abhören von Gesprächen mit Anwälten in Frage kommen konnte.«
Schüler widersprach. Um das Abhören von Anwaltsgesprächen sei es bei der Einrichtung der Wanzen im Frühjahr 1975 nicht gegangen:
»Dies war nach der Lorenz-Entführung und nach Stockholm. Und in der Zwischenzeit war es auch nicht völlig ruhig gewesen. Wir hatten ernst zu nehmende Mitteilungen, daß im Zusammenhang mit der Eröffnung des Prozesses [in Stammheim], aber auch unabhängig davon, ein Befreiungsversuch größeren Ausmaßes bevorstand … Dies waren keine Phantastereien, sondern das war durchaus ernst zu nehmen. Diese Situation, die in Zusammenhang mit erpresserischer Freisetzung von Geiseln entstehen konnte, war das, was ich in erster Linie im Kopf hatte. Da hatten wir ja einschlägige Erfahrungen aus den Zusammenhängen mit Lorenz in Berlin.
Ich wußte, daß es sich um leerstehende Zellen handelte, in die diese Anlage eingebaut werden sollte. Da sind eine große Zahl von Modellen, so will ich mal sagen, denkbar, ohne daß da ein Verteidiger involviert ist. Herr Abgeordneter Vogel, dies kann sich in der Weise abwickeln – und das ist sozusagen ein Beispiel aus dem praktischen Leben –, daß im Zuge der Befreiungsaktion Häftlinge zusammengeführt werden, vielleicht erst einer, zwei oder drei – das haben wir doch alles erlebt –, und daß man in diesem Moment Informationen über die weiteren Absichten erhält.
Dies könnte es unter gewissen Umständen erlauben, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Es sind eine ganze Reihe von Modellen denkbar – ich will das kurz machen –, die unterhalb der Verteidigerabhörung liegen. An die haben wir damals wirklich nicht gedacht.«
Daß nicht primär an die Überwachung von Verteidigergesprächen gedacht worden war, läßt sich indessen schon an der Zahl der mit Abhöranlagen ausgestatteten Zellen erkennen. Von Technikern des Bundesamtes für Verfassungsschutz waren
fünf
»leerstehende Räume« verwanzt worden. Bei der zweiten »Hilfeleistung« durch Fachleute des Bundesnachrichtendienstes ging es um
zwei
Zellen. Insgesamt waren also, wie schon erwähnt,
sieben
Zellen mit Mikrophonen bestückt. Für Anwaltsgespräche gab es nur vier Zellen: 709 , 710 , 711 und 712 .
In keiner der Sitzungen des Innenausschusses wurde gesagt, daß die Abhöranlagen inzwischen wieder ausgebaut worden waren oder man sie wieder ausbauen wolle. Im Gegenteil: Die Minister Schiess und Bender betonten immer wieder, daß sie in vergleichbaren Situationen wieder abhören würden.
Eine vergleichbare Situation ergab sich durch die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer – gerade sechs Monate, nachdem die Stammheimer Lauschaffäre – teilweise – bekannt geworden war.
Nach den vorliegenden Informationen wäre es nur folgerichtig gewesen, die Gefangenen in Stammheim auch während der Schleyer-Entführung zu belauschen.
An den Abhöraktionen beteiligt waren damals auch geheime Dienste, von denen niemand etwas wußte, die es offiziell gar nicht gab. Zum Beispiel die Gruppe Fernmeldewesen des Bundesgrenzschutzes in Heimerzheim. Diese Gruppe – mit immerhin 500 Mann – wurde erst 1994 offiziell legalisiert. Schon 1973 waren die Abhörspezialisten der Grenzschutztruppe des
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