Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
müssen krank wirken und geschwächt aussehen.‹ Auch das, was Prinzing in dem Gespräch mit Künzel gesagt hat, Andreas hätte zu dem Ablehnungsantrag gemeint: ›Was ist denn das wieder für eine Kiste?‹, ist ein eindeutiger Beweis.«
Raspe fuhr fort: »Es wäre natürlich absurd anzunehmen, die Bundesanwaltschaft hätte vom Abhören nichts gewußt, nachdem für jeden klar ist, daß die ganze Dramaturgie der Fahndung, der Haftbedingungen, der Liquidierung von Gefangenen und der Prozeß in den Händen der Bundesanwaltschaft liegt. Sie war es, die nach dem Mord an Ulrike durch die Behauptung …«
Dr. Foth unterbrach ihn: »Die Unschuldsvermutung gilt auch für die Bundesanwaltschaft; also, wenn Sie von Mord und dergleichen reden, dann müßten Sie sich vielleicht darüber im klaren sein: Unschuldsvermutungen gelten für alle Bürger …«
»Tja«, sagte Raspe, »die Unschuldsvermutung für eine Behörde dieser Art … Ich hab das im übrigen nicht personell konkretisiert …«
»Sie sprachen von Mord. Und hinter einem Mord steht eigentlich häufig ein Mörder, nicht? Wen Sie auch immer meinen damit. Denn sonst ist es ein Todesfall.«
»Wir sind sicher, daß es so ist. Auf jeden Fall war es die Bundesanwaltschaft, die nach Ulrikes Tod durch die Behauptung intimer Kenntnisse unter den Gefangenen das Gerücht von Meinungsverschiedenheiten und Spannungen öffentlich verbreitet hat.«
Jan-Carl Raspe verließ den Sitzungssaal. Auch für ihn war dies der letzte Auftritt im Stammheimer Gerichtsverfahren. Als er gegangen war, ergriff Bundesanwalt Wunder das Wort: »So sauber, so sauber, wie unser Nichtwissen um diese Abhördinge ist, um die es jetzt geht, so sauber kann etwas anderes überhaupt nicht sein.« Er wandte sich an die Verteidiger und ergänzte: »Das können Sie bitte Herrn Raspe ausrichten.«
Das Publikum im Prozeßsaal brach in schallendes Gelächter aus.
Kurz darauf erschien Gudrun Ensslin. Sie setzte sich auf die Anklagebank und sagte: »Ich will hier kurz die Forderungen des Hungerstreiks mitteilen, in dem wir seit heute sind.«
»Also, vom Hungerstreik reden wir im Augenblick nicht«, fiel ihr der Vorsitzende ins Wort.
»Wir sind ab heute in einem Hungerstreik.«
»Sie sind was?«
»In einem Hungerstreik.«
»Dazu kann ich Ihnen das Wort nicht überlassen. Über Haftbedingungen sprechen wir in der Hauptverhandlung nicht. Und dabei bleibt es auch.«
»Also, es ist klar, daß hier nicht der Ort mehr ist zu irgendwelchen politischen Erklärungen. Die sind hier überflüssig geworden.«
Gudrun Ensslin schob sich aus der Anklagebank, stand auf und verließ den Verhandlungssaal. Auch sie betrat ihn nicht wieder.
Einer der »Zwangsverteidiger«, Rechtsanwalt Schwarz, erhielt das Wort: »Sowohl der Herr Justizminister als auch der Herr Innenminister haben die Erklärung abgegeben, sie würden in einer vergleichbaren Situation wieder in der gleichen Weise handeln.« Das Gericht sei eine Erklärung schuldig, wie es weitere Abhörmaßnahmen verhindern wolle. Bis dahin müsse das Verfahren ausgesetzt werden.
»Zwangsverteidiger« Schnabel beantragte ebenfalls, das Verfahren auszusetzen. Dann kam sein Kollege Künzel an die Reihe: »Wo die Totalität des Staates, die den Gefangenen im Gefängnis umgibt, bis in das Gespräch zwischen Verteidiger und Angeklagten hineinreicht, ist das Maß an Freiheit nicht mehr vorhanden, ohne das der Angeklagte nicht mehr um seine Freiheit kämpfen kann. Wo der Gesprächsraum, den der Staat zum Verteidigergespräch zur Verfügung stellt, mit Wanzen besetzt ist, kann ein Verteidiger diesen Raum nicht mehr betreten.«
Künzel verließ in der Pause den Stammheimer Gerichtssaal und kam, als der Senat sämtliche Beweis- und Aussetzungsanträge im Zusammenhang mit der Abhöraffäre ablehnte, nicht mehr zurück. Er schickte ein Telegramm an das Oberlandesgericht, zweiter Strafsenat, Stuttgart-Stammheim: »Ich sehe mich nach der Entscheidung des Herrn Vorsitzenden aus den in meinem Antrag angeführten Gründen außerstande, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, und bitte, dies als Grund für mein Fernbleiben zu respektieren.«
41. Die Ermordung des Generalbundesanwalts
Es war am 7 . April 1977 , gegen 8 . 30 Uhr, als ein blauer Dienst-Mercedes vor dem Einfamilienhaus des Generalbundesanwalts Siegfried Buback im Fichtenweg, Karlsruhe, hielt, um ihn abzuholen. Der dreißigjährige Fahrer Wolfgang Göbel hatte zuvor die Nummernschilder ausgewechselt.
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