Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
machten sich daran, Protokolle über das Geschehene anzufertigen. Auch die Gefangenen schrieben Protokolle – und traten in einen neuen Hungerstreik.
Die nach der Vergrößerung des Hochsicherheitstraktes im Frühsommer 1977 nach Stammheim verlegten Gefangenen Wolfgang Beer, Werner Hoppe und Helmut Pohl wurden zurück nach Hamburg gebracht.
Nachtdienstmeldung Stammheim 16 ./ 17 . August 1977 :
»Bei der Glühlampenabnahme um 23 . 12 Uhr mußten wir feststellen, daß es im kurzen Flügel nach ausgelassenem Speck und Bratkartoffeln roch.«
47. Die Stalinorgel
In diesem Sommer 1977 bestand die Nachfolgegruppe der in Stammheim inhaftierten Gründergeneration der RAF -Kader im wesentlichen aus Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hofmann, Elisabeth von Dyck, Christian Klar, Willy Peter Stoll, Peter-Jürgen Boock und Susanne Albrecht, Adelheid Schulz, Rolf Clemens Wagner und Stefan Wisniewski.
In den Wochen nach der gescheiterten Entführung Jürgen Pontos, die mit Mord geendet hatte, entwickelte die Gruppe einen neuen Plan: Die Bundesanwaltschaft selbst sollte angegriffen werden. In einer zur Werkstatt ausgebauten konspirativen Wohnung in Hannover baute Peter-Jürgen Boock eine Raketenwerferanlage, ähnlich einer Stalinorgel. Das Gerät bestand aus 42 verzinkten Stahlröhren von etwa 60 Zentimetern Länge, die auf sandwichartig übereinandermontierte Spanplatten geschraubt waren. In die Rohre wurden selbstkonstruierte raketenähnliche Geschosse mit 15 Zentimeter langem, vierflügeligem Leitwerk eingesetzt, gefüllt mit hochexplosivem Sprengstoff und Aufschlagzünder. Der gesamte Raketenwerfer war mit Teppichbodenbelag umklebt und wog rund 150 Kilogramm.
Er war im wesentlichen aus Teilen zusammengebaut worden, die in jedem Klempnerladen zu kaufen waren. Boock hatte den verschiedenen durchreisenden Gruppenmitgliedern jeweils Aufträge zur Beschaffung von Einzelteilen gegeben: »Man konnte ja schlecht in ein Geschäft für Sanitärbedarf gehen und sagen: Ich möchte 45 Wasserhahnverlängerungen à 50 oder 80 Zentimeter. Das hätte für ein ganzes Hochhaus gereicht. Wir haben in Hannover fast alle Geschäfte in kurzer Zeit leergekauft.«
Von der Idee bis zur Ausführung hatte Boock fast drei Monate gebraucht. Dann war die Waffe in einer Kiesgrube in der Nähe von Göttingen ausprobiert worden. Die erste Rakete flog weit über den Rand der Grube hinaus. Boock hatte Flugbahn und Höhe total unterschätzt. Das Geschoß war so stark, daß es einen ganzen Baum fällte.
Am 25 . August meldete sich bei dem Kunstmaler Theodor Sand und seiner Frau in der Blumenstraße 9 in Karlsruhe ein Ehepaar »Ellwanger« zu einem Besuch an. Sie wollten für ihren neuen Bungalow in Bergzabern ein Bild des Malers erstehen.
Pünktlich um 10 . 00 Uhr am nächsten Morgen kam das Ehepaar »Ellwanger« zur – genau gegenüber dem Gebäude der Bundesanwaltschaft liegenden – Künstlerwohnung. Die 74 jährige Frau Sand öffnete und ließ den dunkelhaarigen jungen Mann und seine mit Rock und blauer Kostümjacke bekleidete »Ehefrau« ein. Sie besichtigten die Bilder des 68 jährigen Malers und unterhielten sich angeregt und sachverständig über Kunst.
Gegen Mittag bat Herr »Ellwanger«, die Toilette benutzen zu dürfen. Als Theodor Sand sich umwandte, um seinem Gast die Tür zu zeigen, fielen die Besucher plötzlich über die beiden alten Leute her. Theodor Sand glaubte, Geisteskranke vor sich zu haben, wehrte sich, schrie und stürzte mit den Angreifern zu Boden.
Frau »Ellwanger« und ihr angeblicher Ehemann zogen Pistolen und richteten sie auf das Künstlerpaar. »Dieses ist eine Aktion der ›Rote Armee Fraktion‹, die nicht gegen Sie gerichtet ist, sondern gegen das Gebäude der Bundesanwälte.«
»Da sind doch auch Stenotypistinnen und andere Angestellte beschäftigt«, meinte Frau Sand.
»Da haben Sie recht, die sind aber in den unteren Etagen.«
Das »Ehepaar Ellwanger« dirigierte die beiden Alten ins Wohnzimmer in zwei Sessel. Dann fesselten sie mit Bändern und Klebestreifen Arme und Beine, rückten die Sessel mit den Rückenlehnen zusammen und banden sie aneinander fest.
Kurze Zeit darauf hielt ein Renault R 4 , auf dem »A. Krieg – Sofort-Kundendienst« stand, vor dem Haus gegenüber der Bundesanwaltschaft. Eine Gruppe junger Leute trug in Taschen und in einem Pappkarton mit der Aufschrift » 12 × 30 Pampers Tag Normal« verpackte Metallgegenstände in die Wohnung des Künstlerpaars.
Der
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