Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
ruhigen Gespräch. »Vergessen Sie die Sache von Freitag«, sagte er, »wir waren zu dritt und haben nicht gefickt.« Die Bediensteten hätten die Sache ganz bewußt dahin gelenkt, um den Gefangenen Schwierigkeiten zu machen. »Wenn die einschneidenden Maßnahmen nicht unverzüglich aufgehoben werden, gibt es Krieg.«
Am Montag war es soweit. Um 9 . 30 Uhr wurden die Zellen aufgeschlossen. Aber diesmal kamen nicht wie sonst zwei oder drei »Grüne«, sondern sechs. Sie bauten sich vor der Tür der Zelle 719 auf, in der Baader und Raspe gemeinsam übernachtet hatten. »Hauen Sie ab«, sagte Jan-Carl Raspe. »Wir werden geschlossene Türen nicht hinnehmen. Wenn Sie Ärger wollen, können Sie ihn haben.« Baader trat auf den Flur und sagte zum Vollzugsbeamten Grossmann: »Du kleine Ratte, du hast mir unterstellt, ich wäre nur zum Ficken da rein. Du bist an allem schuld.« Er drehte sich zu Münzing um: »Du hast das wissentlich provoziert. Das tut euch noch leid.«
Die übrigen Gefangenen holten Schreibmaterial, Bücher und Akten aus ihren Zellen und bereiteten sich auf die gemeinsame Arbeit des Tages vor. Nur Gudrun Ensslin schlief noch. Irmgard Möller forderte Münzing auf, die Tür ihrer Zelle aufzuschließen. Münzing tat das, versuchte aber, die Tür gleich wieder zuzudrücken. Es entstand eine Rangelei; in deren Verlauf stellte sich einer der Gefangenen in die Türöffnung.
Münzing verließ den Trakt, um sich Anweisungen von seinen Vorgesetzten zu holen. Währenddessen zogen sich die übrigen Beamten einige Meter zurück. Die Gefangenen versammelten sich um einen Tisch herum, sprachen leise miteinander und wühlten in ihren Unterlagen. Nach kurzer Zeit kam Münzing zurück. Raspe ging ihm entgegen und forderte ihn auf, zusammen mit seinen Kollegen den Korridor zu verlassen. Dabei konnte Raspe durch einen Vorhang hindurch sehen, daß sich im Aufenthaltsraum der Beamten die Anstaltsleitung und zwanzig bis dreißig Uniformierte versammelt hatten.
Von nun an ging alles sehr schnell. Das Rollkommando stürmte auf den Umschlußflur. Wolfgang Beer, einer der drei neu in den Trakt verlegten Häftlinge, der jetzt auf der Schwelle zu Nummer 719 stand, wurde weggedrückt, damit die Tür geschlossen werden konnte. Raspe versuchte, einen heftig nach Bier riechenden Beamten daran zu hindern. Er schlug mit den Fäusten um sich. Die Gefangenen begannen zu schreien.
»Nun haben Sie den Krieg, den Sie gewollt haben!« brüllte Baader und schleuderte eine gefüllte Kaffeetasse durch den Raum.
»Die Türen zu!« befahl Regierungsdirektor Schreitmüller.
Das war das Signal für eine allgemeine Prügelei. Vier oder fünf Beamte warfen sich auf Jan-Carl Raspe und rissen ihn zu Boden. Einer drückte sein Knie auf Ober- und Unterkiefer, dann auf Hals und Brustkorb. Anschließend wurde Raspe in eine der hinteren Zellen geschleift: Prellungen, zwei gelockerte Vorderzähne, Blutergüsse, Hautabschürfungen. Wolfgang Beer bekam einen Ellenbogen ins Gesicht. Seine Brille zerbrach, die Glassplitter zerschnitten sein Gesicht. Er wurde in die Zelle geschleppt.
Ein Vollzugsbeamter griff sich Gudrun Ensslin, preßte ihr Gesicht auf den Boden, würgte sie. Sie rang nach Luft, schrie.
Mehrere Beamte stürzten sich auf Irmgard Möller und Ingrid Schubert, rissen deren Köpfe zurück, schlugen ihnen die Beine weg. Irmgard Möller wurde erst auf Gudrun Ensslin geschleudert, dann von vier Männern in eine Zelle geschleift. Es war Andreas Baaders Zelle. Auch Gudrun Ensslin wurde in diese Zelle geworfen, blieb einen Moment wie bewußtlos liegen, mit krebsrotem Hals, einem angelaufenen Gesicht, sie bekam kaum noch Luft. Die Tür fiel krachend ins Schloß. Es wurde abgesperrt.
Draußen ging die Schlacht weiter. Gefangene und Beamte beschimpften sich gegenseitig: »Ihr Schweine, ihr Arschlöcher!« Helmut Pohl erhielt einen Schlag ins Gesicht, ein Schneidezahn brach ab. Von drei Beamten wurden ihm die Arme auf den Rücken gedreht. Zwei packten seine Füße; er trat um sich. Keiner der Gefangenen war der Übermacht gewachsen. Nachdem alle in irgendeine der Zellen geschleppt worden waren, kehrte Ruhe ein.
Aber nicht für lange. Die Beamten stellten fest, daß die Häftlinge nun bunt verstreut in fremden Zellen lagen. Daraufhin starteten sie eine Sortieraktion.
Jeweils vier bis sechs von ihnen holten die Gefangenen heraus, wo sie nicht hingehörten, und beförderten sie mit Schlägen und Tritten in die ihnen zugedachten Zellen.
Die Beamten
Weitere Kostenlose Bücher