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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Konstrukteur des Raketenwerfers, Peter-Jürgen Boock, begann mit dem Aufbau, während die übrigen, die Pistole in der Hand, warteten und versuchten, sich den alten Leuten zu erklären: Dies sei eine »hohe Aufgabe«, die sie als »Signal für die gefangenen Genossen in Stammheim« erfüllten. Es wäre ihnen lieber gewesen, ein jüngeres Ehepaar vorzufinden. Für ihr Vorhaben sei aber ihre Wohnung genau richtig. Eine der Bewacherinnen nahm fünf Hundertmarkscheine aus der Tasche und wollte sie den beiden Alten geben. Es könnte vielleicht in der Wohnung etwas beschädigt werden. Das Ehepaar Sand lehnte ab, weigerte sich auch, aus der angebotenen Cognacflasche zu trinken.
    Peter-Jürgen Boock brauchte mehrere Stunden für den Aufbau des Raketenwerfers. Schon während er die Anlage konstruiert hatte, so sagte er später in seinem Prozeß, waren ihm Bedenken gekommen. Er hätte zunächst nicht gewußt, gegen welches Ziel die »Stalinorgel« eingesetzt werden sollte. Man habe ihm gesagt, ein anderer werde den Schußapparat in Stellung bringen. Damit sei er nicht einverstanden gewesen. Er habe die mörderische Anlage unter Kontrolle behalten wollen, um ihren Einsatz sabotieren zu können. Nur mit Mühe sei es ihm gelungen, an der Kommandoaktion beteiligt zu werden; wegen seines erheblichen Drogenkonsums galt er – trotz seiner anerkannten technischen Fähigkeiten – als Unsicherheitsfaktor.
    Während er den Raketenwerfer in der Wohnung aufbaute, kamen ihm, so sagte er später, immer größere Bedenken. Hinter den Fenstern der Bundesanwaltschaft sah er Sekretärinnen, Justizbedienstete, jüngere und ältere Menschen, vielleicht Angestellte, vielleicht Besucher. Er dachte an die Folgen eines Beschusses und spürte einen »wachsenden Eisklumpen« in sich. Boock konnte einfach keinen Zusammenhang mehr sehen zwischen seiner früheren Motivation für den Anschluß an die RAF , die Gefangenen aus ihrer Situation zu befreien, und dem, was zu tun er im Begriff war. Es würde Tote geben. Die Aktion könnte ihn zum mehrfachen Mörder machen. Als er die Rohre auf die gegenüberliegenden Fenster ausrichtete, beschloß er, die Zündung zu verhindern. Er zögerte den Aufbau bewußt hinaus. Als die Anlage schon fast fertig war, zog er den Wecker für die Zündung nicht auf, um den Abschuß zu verhindern.
    Die Raketenabschußanlage funktionierte tatsächlich nicht. Im späteren Urteil gegen Peter-Jürgen Boock wurde seine Erklärung als Schutzbehauptung abgetan. Die Tatsache, daß der Wecker wirklich nicht aufgezogen worden war, beurteilten die Richter als reines Versehen.
     
    In der RAF -Erklärung über das mißglückte Attentat hieß es: »Es ging nicht um irgendein Blutbad … es ging ganz einfach um eine Warnung in der Situation, in der über 40 politische Gefangene im Hungerstreik waren … Sollten Andreas, Gudrun und Jan getötet werden, werden die Apologeten der harten Haltung spüren … daß wir genug Liebe – also Haß und Phantasie haben, um unsere und ihre Waffen so gegen sie einzusetzen, daß ihr Schmerz unserem entsprechen wird …«
     
    Die Stammheimer Gefangenen waren zunehmend unzufrieden mit den Aktivitäten der Gruppe draußen. Sie kritisierten die Ponto-Aktion als reinen Dilettantismus und verlangten immer drängender und ultimativ eine erfolgreiche Befreiungsaktion. »Wenn ihr es nicht schafft, uns herauszuholen, dann nehmen wir unser Schicksal selbst in die Hand«, hieß es immer wieder in Kassibern, die nach draußen geschmuggelt wurden. »Die anderen«, so Boock, »haben sich sicher etwas anderes darunter vorgestellt als Brigitte und ich. Wir wußten genau, worauf sich das bezog. Wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand heißt, wir machen Schluß, machen die Geiselnahme, machen Selbstmord, machen eine Suicide-Aktion.«
    Boock und Brigitte Mohnhaupt wußten, daß in den Zellen Waffen und Sprengstoff verborgen waren; schließlich hatten sie diese selbst besorgt und in die Stammheimer Zellen schmuggeln lassen. Brigitte hatte Boock auch erzählt, wie die Gefangenen die Verstecke vorbereitet hatten. So waren die Waschbecken in den Zellen innen hohl. Man mußte die Becken also nur abmontieren und eines der Lüftungslöcher vergrößern, um einen jederzeit benutzbaren Hohlraum zu haben. Dann wurden die Bodenleisten abmontiert. Dahinter war unverputzter grauer Beton, in den Löcher gekratzt werden konnten. Der feine Abrieb wurde mit Zahnpasta vermengt und als Mörtel verwendet.
    Inzwischen hatte Jan-Carl

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