Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
versank. Boock brachte sie im Zug nach Köln. Auf der Fahrt brach sie immer wieder in Weinkrämpfe aus. In einer konspirativen Wohnung in Köln setzte Brigitte Mohnhaupt das Bekennerschreiben auf. Susanne Albrecht sollte es unterschreiben. »Nein, das mach ich nicht«, wehrte sie ab, immer wieder von Weinkrämpfen erschüttert. »Das mach ich nicht, nein, ganz entschieden nein.«
Da fielen die anderen wieder über sie her: »Was willst du denn überhaupt hier? Hattest du etwas mit dem bewaffneten Kampf zu tun? Oder wolltest du nur ein bißchen den weiblichen Robin Hood raushängen lassen und dir nur nicht die Finger schmutzig machen?« Nach bewährter Methode wurde ihre gesamte Identität, ihr Dasein in der Gruppe in Frage gestellt, bis sie reif war und sagte: »Ich unterschreibe.«
Zwei Wochen später gingen bei verschiedenen Zeitungen Eilbriefe ein: »Wir haben in der Situation, in der Bundesanwaltschaft und Staatsschutz zum Massaker an den Gefangenen ausgeholt haben, nichts für lange Erklärungen übrig. Zu Ponto und den Schüssen, die ihn jetzt in Oberursel trafen, sagen wir, daß uns nicht klar genug war, daß diese Typen, die in der Dritten Welt Kriege auslösen und Völker ausrotten, vor der Gewalt, wenn sie ihnen im eigenen Haus gegenübertritt, fassungslos stehen.«
Unterzeichnet war die Erklärung: »Susanne Albrecht aus einem Kommando der RAF «.
Nachdem sie in Köln noch einiges zur Vorbereitung der nächsten, der größten, der finalen Befreiungsaktion für die Stammheimer Gefangenen vorbereitet hatten, reisten Peter-Jürgen Boock und Brigitte Mohnhaupt ein weiteres Mal nach Bagdad. Sie wollten mit Abu Hani die nötigen Einzelheiten für die »Big Raushole« erörtern. Es mußte geklärt werden, wieviel Geld sie zusätzlich zu den Gefangenen verlangen sollten – und wieviel davon die PFLP abbekommen sollte. Es mußten Flugrouten abgesprochen werden und welcher Schlüsselsatz den Gefangenen mitgeteilt werden sollte, den sie im Falle der Befreiung sagen mußten, um zu signalisieren: Hier an Bord ist alles in Ordnung, es sind keine Bewaffneten hier, ihr könnt die Geisel freilassen.
Abu Hani legte Wert darauf, daß sich die Gefangenen selbst nach ihrer Befreiung strikten Regeln unterwarfen: »Sie dürfen sich nicht wundern, daß sie selbst erst einmal wie Gefangene behandelt werden. Man kann ja nicht sicher sein, daß da keine anderen Leute eingeschleust werden. Sie dürfen sich dem nicht widersetzen, sie dürfen nicht meckern, bis sie eindeutig als die Gefangenen identifiziert worden sind. Bis dahin werden sie irgendwo hingebracht und wie Gefangene behandelt.«
Damit war klar, daß die befreiten RAF -Mitglieder nur in ein Land gebracht werden konnten, in dem die PFLP eine starke Basis hatte. Das war vor allem Aden, aber auch in der somalischen Hauptstadt Mogadischu unterhielt die PFLP eine Basis mit etwa sechzig Leuten.
Als alle Einzelheiten für die Aktion, die in etwa vier bis sechs Wochen laufen sollte, abgesprochen worden waren, kehrten Boock und Mohnhaupt nach Paris zurück. Dort gab es bereits eine Wohnung, die als Kommunikationszentrale dienen sollte.
Eigentlich bestand noch aus der Zeit, als Haag Chef der Gruppe gewesen war, eine Maxime, nach der Leute, die für »strategische Aufgaben« wichtig waren, nicht an Aktionen beteiligt sein durften. Falls der Betreffende bei der Operation zu Tode oder in Gefangenschaft käme, ginge so kein unwiederbringliches Wissen verloren. Damit wäre Boock ausgeschieden: »Wir waren aber sehr schnell darauf gekommen, daß wir bei der gegenwärtigen Struktur zu wenige wären, um eine komplizierte Aktion durchzuziehen. Vor allem, wenn es nicht nur eine, sondern eine Reihe von Aktionen ist, angefangen bei Buback, dann Ponto, dann Schleyer. Also das war schon mal über den Haufen geworfen.«
46. Bambule in Stammheim
Am Freitag, dem 5 . August 1977 , besuchte Rechtsanwalt Arndt Müller seine Mandantin Gudrun Ensslin in Stammheim. Er kam um 14 . 50 Uhr und ging um 16 . 06 Uhr. Während dieser Zeit hatten die übrigen Gefangenen Umschluß auf dem Korridor vor ihren Zellen. Irmgard Möller wollte die Nacht gemeinsam mit Gudrun Ensslin in deren Zelle zubringen und packte ein paar Sachen zusammen. Dann holte sie einen Arm voll Obst aus der »Freßzelle«.
Als sie die gut zwanzig Quadratmeter große Eckzelle 720 betrat, stand Andreas Baader vor dem Bücherregal und suchte Papiere heraus.
Die Tür stand weit offen, und unmittelbar davor zogen
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