Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
des Paragraphen 34 in diesem Falle und generell durch den Staat rechtens sei, hätte das erhebliche verfassungsrechtliche Konsequenzen gehabt: Der »rechtfertigende Notstand« wäre damit gleichsam als »Ermächtigungsgesetz« für Ausnahmesituationen abgesegnet worden. Das jedoch wollte eigentlich niemand.
Bei einer anderslautenden Entscheidung der Karlsruher Richter hingegen hätte die Regierung in höchst angespannter Lage eine schallende Ohrfeige erhalten, und das wollte man auch nicht riskieren.
In dieser Zwickmühle entschieden sich die Justizminister der Länder, zusammen mit Bundesjustizminister Vogel, einen dritten Weg zu gehen, der freilich kaum weniger problematisch war. Schnell sollte ein Gesetz geschaffen werden, das der Kontaktsperre, von deren Notwendigkeit alle bis auf den Vertreter Berlins überzeugt waren, eine rechtliche Grundlage geben würde.
Gesetzgebungsverfahren im Bundestag sind kompliziert und langwierig. Zwischen der Einbringung und Verabschiedung eines Gesetzes vergehen zumeist Monate, wenn nicht Jahre. Beim Kontaktsperregesetz war das anders. Die Vorlage nahm in beispielloser Schnelligkeit alle parlamentarischen Hürden. Innerhalb einer Woche lag ein Gesetz fertig auf dem Tisch, das den Justizministern das Recht gab, den Kontakt von Gefangenen untereinander und ihre Verbindungen mit der Außenwelt vollkommen zu unterbinden. Seine Anwendung setzte voraus, daß für Leib und Leben oder Freiheit einer Person Gefahr bestehe und der begründete Verdacht vorliege, eine solche Gefahr gehe von einer terroristischen Vereinigung aus. Die Kontaktsperre dürfe höchstens dreißig Tage dauern und müsse nach zwei Wochen von einem Gericht bestätigt werden. Allerdings könne die Isolation erneut verhängt werden, wenn ein Richter befände, die entsprechenden Voraussetzungen bestünden weiter.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 20 . September:
»Um 23 . 07 Uhr an Baader Medikamente durch den Sani ausgehändigt. Sehr ruhig.«
19. Ein »Welt«-Artikel und seine Folgen
(Mittwoch, 21 . September 1977 )
An diesem Tag machte »Die Welt« mit einer dreispaltigen Überschrift auf: »Mini-Kamera in Baaders Zelle geschmuggelt – War es ein Anwalt?«
Eine Woche zuvor sei eine Minox-Kamera in der Zelle Andreas Baaders gefunden worden. Vermutlich habe sie ein Anwalt in die Haftanstalt geschmuggelt. Eine Zwischenüberschrift der »Welt«: »Kassiber liegen zwischen zusammengeklebten Akten«.
Und weiter: »Die neuwertige, schwarze Minox-Kamera und die dazugehörige Filmkassette mit 36 Aufnahmen waren in einem kartonierten Kaffeefilter-Behälter versteckt. Der Verdacht geht dahin, daß ein Rechtsanwalt die Kamera in die Zelle geschmuggelt hat …«
Schon vorher habe man in Stammheim nach dem Besuch eines im Büro Croissant arbeitenden Rechtsanwalts bei einer Zellendurchsuchung in Verteidigerakten versteckte Kassiber gefunden. Der Anwalt habe zudem mehrere Platten aus Glimmer mit Heizfadenanschlüssen in Papiertaschen versteckt, die aus zusammengeklebten Zeitungsausschnitten bestanden hätten.
Das Bundesjustizministerium, damit beschäftigt, das Kontaktsperregesetz durchzubringen, schickte ein Fernschreiben nach Stuttgart: »… bitte ich um geeignete Maßnahmen besorgt zu sein, die verhindern, daß solche oder ähnliche Gegenstände unbemerkt in die Zellen der Gefangenen gelangen können.«
Der Adressat des Fernschreibens, der baden-württembergische Justizminister Dr. Bender, wurde aktiv.
Im Untersuchungsausschuß sagte er später: »Meine Reaktion war: Es muß jetzt gründlicher kontrolliert werden, denn offensichtlich ist hier der Kontrolle etwas entgangen.« Er gab die Anweisung zu einer gründlicheren Kontrolle an seinen Ministerialdirigenten Reuschenbach weiter, der wiederum den Anstaltsleiter Nusser telefonisch aufforderte, das Notwendige zu veranlassen. Nusser schrieb daraufhin einen Aktenvermerk: »Herr Amtsinspektor Bubeck wurde beauftragt, die Frage zu klären.«
Nachtdienstmeldung Stammheim, 21 . September:
»Um 23 . 05 Uhr an Baader und Raspe Medikamente ausgehändigt. Keine Vorkommnisse! Sehr ruhig!«
20. Eine Schießerei
(Donnerstag, 22 . September 1977 )
Am Nachmittag meldeten sich die Entführer wieder bei Rechtsanwalt Payot: welche Ergebnisse Staatsminister Wischnewski aus Algerien, Libyen, dem Irak, der Volksrepublik Jemen und etwaigen anderen Ländern mitgebracht habe?
Das BKA antwortete: »Ergebnisse der Befragungen der vier Zielländer werden in Kürze
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