Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
finanziellen Forderungen mit Abu Hani erörtert hatte. Eigentlich hatte die Gruppe vorgehabt, von der Bundesregierung für jeden ausgelieferten Gefangenen 100 000 Mark zu verlangen – bei zehn Gefangenen, die auf der Liste standen, insgesamt eine Million. Doch Abu Hani sagte: »Wenn die das zahlen, dann zahlen sie auch zehn Millionen. Wenn die den Austausch wollen, dann kommt es darauf nicht mehr an.« Brigitte beklagte sich später bei Boock darüber: »Dieser alte Materialist …« Es ging doch um die politische Dimension und nicht um einen Banküberfall. Am Ende wurde doch, wie von Abu Hani vorgeschlagen, eine Million Mark für jeden einzelnen Gefangenen gefordert.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 16 . September:
» 21 . 50 Uhr Baader verlangte eine Dolviran, und man soll das Radio leiser machen.
23 . 00 Uhr mit Sani Baader Medikamente ausgegeben. Keine Vorkommnisse. Sehr ruhig.«
Offenkundig konnten die Gefangenen aus den darunterliegenden Zellen die Radioprogramme verfolgen – und die Justizbeamten wußten davon.
16. Ein ruhiges Wochenende
(Samstag/Sonntag, 17 ./ 18 . September 1977 )
Gegen Mittag meldeten sich die Entführer wieder bei Payot und forderten das BKA auf, genauer mitzuteilen, mit welchen Zielländern Verhandlungen geführt würden. Die Frage des BKA nach den Austauschmodalitäten sei ihrer Ansicht nach bereits beantwortet.
Das Bundeskriminalamt bat Payot, den Entführern mitzuteilen: »Unbeschadet der Tatsache, daß die Frage nach zumutbaren – wir wiederholen: ›zumutbaren‹ – Modalitäten der Freilassung nach wie vor unbeantwortet ist, wird bestätigt, daß Kontakte mit dem ersten und dem dritten der von Baader genannten Zielländer stattgefunden haben.«
Am späten Nachmittag flog Staatsminister Wischnewski nach Bagdad und Aden.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 17 . September:
» 18 . 00 , 18 . 34 , 21 . 05 Uhr Hauptsicherung eingeschaltet.
20 . 55 Uhr Optipyrin mit Innenwache ausgehändigt an Baader.
22 . 55 Uhr mit Sani und Innenwache Medikamente an Baader ausgehändigt.
Sonst keine Vorkommnisse.«
Nachtdienstmeldung Stammheim, 18 . September:
»Um 23 . 00 Uhr an Baader Medikamente durch Sani ausgehändigt. Keine Vorkommnisse! Sehr ruhig!«
17. Alltag einer Entführung
(Montag, 19 . September 1977 )
Fragen nach Lebenszeichen Schleyers und Antworten darauf gingen hin und her, ohne daß irgendwelche Entscheidungen getroffen wurden.
Rechtsanwalt Payot teilte dem BKA mit, er sei nicht bereit, zusammen mit den Gefangenen auf die Reise zu gehen. Er werde gegebenenfalls getrennt von ihnen in das Zielland fliegen, um die Mitteilung Baaders an die Entführer zu übermitteln.
Die Entführer wurden ungeduldig. Sie ließen dem BKA ausrichten: »Wir haben nur mitzuteilen, daß wir nicht noch weitere vierzehn Tage verhandeln werden. Das nur zur Information …«
Nachtdienstmeldung Stammheim, 19 . September:
»Um 23 . 05 Uhr an Baader und Raspe Medikamente durch den Sani ausgehändigt. Keine Vorkommnisse.«
18. Ein Sondergesetz
(Dienstag, 20 . September 1977 )
Staatsminister Wischnewski kehrte aus Aden zurück.
Noch am Vormittag trafen sich in Bonn die Justizminister der Länder, um Erfahrungen mit der Kontaktsperre auszutauschen. Einige Gerichte hatten verfügt, daß Anwälte ihre Mandanten trotz der verfügten Sperre besuchen durften. Dennoch hatte man sie nicht in die Haftanstalten gelassen. Das war ein klarer Rechtsbruch: Die Exekutive setzte sich über Entscheidungen der Gerichte hinweg. Die Kontaktsperre, für die es keine Rechtsgrundlage gab, war unter Berufung auf Paragraph 34 des Strafgesetzbuches, der rechtswidrige Notwehrhandlungen legitimiert, verfügt worden. Der sogenannte rechtfertigende Notstand erlaubt Gesetzesübertretungen, wenn dadurch höhere Rechtsgüter geschützt werden. Die meisten Juristen waren einig in der Meinung, daß nur der Bürger, nicht aber der Staat sich auf den rechtfertigenden Notstand berufen könne.
Das war den Justizministern durchaus klar. Zudem war beim Bundesverfassungsgericht der Antrag mehrerer BM -Anwälte auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung eingegangen. Das höchste Gericht solle entscheiden, ob sich im Falle der Kontaktsperre die Berufung auf den rechtfertigenden Notstand überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbaren lasse. Das brachte die Bundesregierung und die Justizminister der Länder in eine äußerst schwierige Situation. Wenn die Verfassungsrichter entschieden, daß die Anwendung
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