Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
sofort auf den Tisch!«
Die Großpostämter in der Bundesrepublik wurden beauftragt, solche Briefe auszusortieren und der Polizei zu geben. Am 13 . September wurden die Postbeamten in Dortmund fündig. Sie fischten fünf Entführerbriefe aus 500 000 Postsendungen heraus. Drei ebenfalls in Dortmund aufgegebene Briefe entgingen ihnen. Nur diese drei Sendungen erreichten ihre Adressaten ohne Umweg über das BKA .
Mit Hilfe von Rasterprogrammen versuchten die Computerspezialisten des BKA , verdächtigen Wohnungen und Fahrzeugdoubletten auf die Spur zu kommen.
Weil das BKA vermutete, daß eine Arztpraxis bei der Entführung eine Rolle gespielt habe, wurde ein entsprechendes Programm in die Computer gefüttert. Dreißig bis vierzig verdächtige Ärzte, auf die bestimmte Kriterien zutrafen, wurden so herausgefiltert und überprüft.
Eine Abhöraktion von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß wurde inszeniert. Obwohl die davon Betroffenen nach dem G- 10 -Gesetz (so benannt nach Artikel 10 des Grundgesetzes, das die Telefonüberwachung nur in bestimmten Ausnahmefällen zuläßt) nach Abschluß der Maßnahme davon hätten unterrichtet werden müssen, ist das nie geschehen.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 24 . September:
» 22 . 30 Uhr Medikamente ausgegeben an Raspe und Baader.«
23. Weltreisen
(Sonntag, 25 . September 1977 )
Das BKA ließ den Entführern ausrichten: »Von den bisher auf Ministerebene befragten Ländern haben Libyen und Südjemen abgelehnt, zwei sich noch nicht endgültig geäußert. Bei dieser Sachlage wurde vorsorglich auch die Befragung des von Baader letztgenannten Landes Vietnam eingeleitet. Über den Fortgang werden wir Nachrichten übermitteln.« Am späten Abend flog Staatsminister Wischnewski nach Vietnam.
Während dieser Zeit war die Kerntruppe der RAF in Bagdad gelandet. Wenige Tage nach ihrer Ankunft tauchte plötzlich ein alter Bekannter bei ihnen auf. Johannes Weinrich hatte früher einmal zu den »Revolutionären Zellen« gehört, sich dann aber Carlos und seiner Gruppe angeschlossen. Die Kerntruppe der RAF hatte ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihm. Auch diesmal wurde er nicht sehr freundlich begrüßt. Schon vom Erscheinungsbild her lag Weinrich Boock und den anderen nicht. Er wirkte wie ein erfolgreicher Jungmanager, in seinem tadellosen Outfit mit Täschchen am Handgelenk. Weinrich kam schnell zur Sache: »Abu Hani wundert sich, wieso ihr ihn nicht darum bittet, euch mit einer Aktion zur Seite zu stehen.« Dieser Gedanke war den Schleyer-Entführern bis dahin noch gar nicht gekommen. Sie hatten eigentlich vor, zu warten, bis Helmut Schmidt endlich einlenkte. Wenn sich die Situation nicht in absehbarer Zeit lösen lasse, dann würde er wohl zurücktreten. So glaubten sie, nur auf Zeit spielen zu müssen.
»Na gut, fein, daß du mir das jetzt gesagt hast«, antwortete Brigitte Mohnhaupt abweisend, »ich nehm das hier mal zur Kenntnis. Bei dem nächsten Routinegespräch mit Abu Hani werde ich das auch ansprechen.« Sie bedeutete Weinrich, daß er jetzt gehen könne. Boock wunderte sich, daß Abu Hani nicht einen von seinen eigenen Leuten geschickt hatte, sondern ausgerechnet den deutschen Assistenten des legendären Carlos.
Beim nächsten Zusammentreffen mit Abu Hani sprachen sie ihn auf eine Hilfsaktion an. Und zu ihrer großen Überraschung zauberte er zwei Aktionen aus dem Hut. »Beide«, so sagte er ihnen, »sind fertig vorbereitet, ihr könnt euch aussuchen, welche.« Die eine Aktion war eine Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Kuweit, die andere die Entführung eines Urlauberflugzeugs auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt.
Der Plan zur Botschaftsbesetzung in Kuweit wurde sofort abgelehnt, die Erfahrungen von Stockholm waren noch zu frisch. Auch die Flugzeugentführung war in dieser Form eigentlich nicht nach ihrem Geschmack. Mehr als einmal hatten die Gefangenen in Stammheim durchblicken lassen, daß sie nur ungern durch die Entführung eines Flugzeuges mit zivilen Fluggästen oder gar Urlaubern freigepreßt würden. Dennoch willigte die Gruppe ein und beorderte umgehend ein Mitglied zurück nach Europa, um das Schleyer-Kommando über die neue Entwicklung zu unterrichten.
Ein paar Tage später tauchte Abu Hani wieder bei Boock auf. »Wir haben mal was probiert«, sagte er. »Wenn man Waffen durch elektronische Kontrollen bringen will, müßte man einen Koffer oder eine Kosmetiktasche innen mit Bleifolie verkleiden. Dann sieht man
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