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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Luft würde immer dicker, reiste er hinterher: »Achtundvierzig Stunden allerhöchstens. Dann müssen wir weg sein.« Er fuhr mit dem Zug bis zur Grenze, überschritt dann zu Fuß die grüne Grenze und nahm auf der anderen Seite wieder die Bahn. So hatten sie es immer gemacht, und es war immer glattgegangen. Überall im Fernsehen und in den Zeitungen hatte gestanden, die Grenzen seien abgeriegelt. Aber Boock konnte keinen Posten und keinen Grenzschützer entdecken. Lediglich die Hauptbahnhöfe mußte man meiden, denn nur die wurden überwacht. Kleinere Bahnhöfe blieben vollkommen unbeobachtet.
    So schnell, wie es möglich war, unterschrieb Angelika Speitel den Mietvertrag für die vorgesehene Wohnung in der Steevenstraat in Den Haag. Boock rannte durch Kaufhäuser und kaufte die Einrichtung zusammen. Auch das war Routine: bestellen und anliefern lassen, Möbelwagen fährt vor, neueste Couchgarnituren, damit die Nachbarn etwas zu sehen hatten.
    Nur das Opfer sollte möglichst unauffällig umziehen, »umtopfen« nannte man das. Dafür wurde ein überdimensionaler Koffer oder eine Art Korb gesucht. Jeder aus dem Kommando hatte so ein Ding schon einmal irgendwo gesehen. Doch niemand wußte, wo es so etwas zu kaufen gab. Sie probierten vom Blechkoffer bis zum tragbaren Schrank alles aus, bis sie am Ende einen riesigen Weidenkorb auftrieben.
    Schleyer mußte in den Korb klettern und wurde dann mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage gefahren. Dort verluden sie den Korb in einen Kombiwagen, der ihn an die grüne Grenze nach Holland brachte. Von der anderen Seite fuhr ebenfalls ein Kombi an die Grenze. Korb und Inhalt wurden umgeladen. Dann ging es auf die Autobahn nach Den Haag.
    Die Wohnung war noch nicht ganz fertig, so daß der Transport auf einer Raststätte für mehrere Stunden unterbrochen werden mußte. Zwischendurch durfte Schleyer den Korb kurzzeitig verlassen, um seine Notdurft zu verrichten. Boock fand, daß Schleyer sich logisch und vernünftig verhielt. Er wußte, die Entführer hätten ihn auch anders behandeln können: »Handfesseln unten, Knebel ins Maul und so weiter. Und da wir halbwegs human mit ihm umgegangen sind, hat er alles getan, um diesen Status zu erhalten. Er hat sich wohl keine Illusionen darüber gemacht, was passiert, wenn er sich einmal danebenbenimmt.«
    Der Transport muß spätestens am 16 . September erfolgt sein, denn von diesem Tag an wurde in der Wohnung in Erftstadt kein Strom mehr verbraucht, wie sich später anhand des Zählers rekonstruieren ließ.
    Es waren elf Tage vergangen, in denen man Schleyer aus der der Polizei bekannten Wohnung hätte befreien können.
     
    In ihren Planungen war die Gruppe davon ausgegangen, daß die ganze Operation nicht mehr als eine Woche oder höchstens zehn Tage dauern würde. Doch inzwischen hatte das Kommando erkannt, daß BKA und Bundesregierung auf Zeit spielten. Die Gruppe war zu groß, die Infrastruktur zu anfällig. Einzelne Kommandomitglieder waren inzwischen zu vertraut mit ihrem Opfer. Das war gefährlich. So hatte in der Wohnung in Erftstadt eine der Frauen stundenlang mit Schleyer »Monopoly« gespielt – und ihn dabei besiegt. Der Arbeitgeberpräsident hatte es urkomisch gefunden, daß die Kommunistin den Kapitalisten ausgerechnet bei diesem Raffkespiel besiegt hatte. Sie kamen ins Plaudern, über ihre Kindheit, über Kunst. Den übrigen Bewachern vor Ort wurde das zu eng, und die Frau wurde abgelöst und mußte die Wohnung verlassen.
     
    Nachtdienstmeldung Stammheim, 15 . September:
    »Um 19 . 30 Uhr verlangte Baader Hustensaft.
    Um 23 . 05 Uhr bei Baader und Raspe Medikamente durch Sani ausgehändigt.
    Um 0 . 30 Uhr fiel die Schallmauer bei Zelle 718 (Raspe) um. Baader nahm sofort Rufkontakt auf.
    Wortlaut: ›He, Jan, verstehst du mich, da kommen sie und stellen das Ding wieder auf.‹
    Trotz Schallmauer war Baader deutlich zu hören.
    1 . 40 Uhr Baader eine Dolviran ausgehändigt.«

15. »Man soll das Radio leiser machen«
    (Freitag, 16 . September 1977 )
    Die Entführer meldeten sich erneut bei Payot. Sie beklagten sich, daß die von den Gefangenen genannten Zielländer sich nur wegen der mangelnden Anstrengung der Bundesregierung noch nicht bereit gefunden hätten, die Stammheimer aufzunehmen. »Wir möchten genau wissen, auf welcher Ebene und mit wem diese Kontakte laufen.« Eine Verzögerung liege kaum im Interesse des Herrn Schleyer.
    Das Bundeskriminalamt antwortete knapp: »Kontakte auf Ministerebene.« Dann fragte das BKA

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