Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
gegenüber der Bundesanwaltschaft, »ließen sich daraufhin Warzen und Leberflecke wegoperieren.« Bei den Papieren, die Boock und den anderen gezeigt wurden, hatte man die Briefköpfe abgedeckt, »aber für uns war doch ersichtlich, daß diese Unterlagen aus libyschen oder algerischen Quellen stammen mußten«. Auf einem dieser Papiere aber hatten die Palästinenser die Herkunftsbezeichnung nicht ganz abgedeckt. Lesbar waren die Worte »für Staatssicherheit«. Damit war Boock klar, daß die PFLP vom DDR -Geheimdienst mit Unterlagen aus dem westdeutschen Sicherheitsapparat beliefert wurde.
So schwankte Boock später immer wieder zwischen verschiedenen Erklärungsmustern, in denen mal die Stasi, mal westliche Geheimdienste hinter den Kulissen am Hebel saßen. Tatsächlich agierte die RAF von Anfang an innerhalb eines Netzes von Geheimdienstinteressen, zwar selbständig handelnd, aber je nach Lage von Spionageorganisationen gefördert, benutzt oder verraten.
Die meisten Gespräche mit Abu Hani hatte Brigitte Mohnhaupt allein geführt. Dann traf Rolf Clemens Wagner aus Paris ein, um die weitere Vorgehensweise in Sachen Schleyer mit der geplanten Flugzeugentführung abzustimmen, und brachte dringend gebrauchte Medikamente für Boock mit. Zu zweit besprachen sie nun mit Abu Hani die gemeinsame Kommandoerklärung, die Übergabemodalitäten, die Aufteilung der verlangten 15 Millionen. Dann reiste Wagner wieder ab. Kurz danach kam auch Rolf Heißler aus Brüssel, erhielt letzte Orders und kehrte zum Schleyer-Bewachungskommando zurück.
Brigitte Mohnhaupt flog gemeinsam mit Boock von Algier nach Bagdad. Dort rief sie im großen Haus die Gruppe zusammen und erklärte, welche Art von Operation in den nächsten Tagen laufen würde. »Und da gab es fast auf der Stelle Zoff«, berichtete Boock, »weil es ein paar Leute gab, die so viel Mut hatten zu sagen: Also hört mal, irgendwie widerspricht das ja nun unserer eigenen Erklärung.« Aber da sei Brigitte Mohnhaupt sehr heftig geworden und wieder mit dem alten Totschlagargument gekommen: »Ja, was wollt ihr denn? Wollt ihr, daß sie rauskommen, oder wollt ihr, daß sie verrecken? Was sollten wir eurer Meinung nach tun? Zeigt mal eine Alternative auf!« Die versammelte Runde schwieg. Damit war das Thema beendet.
Die Entscheidung für die Flugzeugentführung, so schrieb Gruppenmitglied Rolf Heißler später in einem internen Papier, »haben wir uns nicht leichtgemacht. Nach langen Diskussionen haben wir unsere Zustimmung für die Operation ›Kofr Kaddum‹ des Kommandos ›Martyr Halimeh‹ gegeben …«
Die PFLP legte sofort los. In einer Fälscherwerkstatt in Bagdad wurden falsche iranische Pässe für die als Entführer vorgesehenen PFLP -Mitglieder hergestellt. Souhaila Sayeh hieß nun »Soraya Ansari«, Zohair Youssif Akache bekam einen Paß auf den Namen »Ali Hyderi«, Nabil Ibrahim Harb hieß »Riza Abbasi« und Nadia Shehada da’Eibes »Shahnaz Gholam«.
Souhaila Sami Andrawes Sayeh war am 28 . März 1953 in Hadath im Libanon geboren worden. Ihre palästinensische Familie stammte aus Haifa, das sie nach der Gründung des Staates Israel verlassen mußte. Die Eltern ließen sich in Ostbeirut nieder und brachten es zu einigem Wohlstand. Souhaila wurde im christlichen Glauben erzogen und besuchte eine der besten Schulen des Libanon, eine von französischen Nonnen geleitete Mädchenschule in Beirut. 1965 zogen die Eltern nach Kuweit. Souhaila mußte auf eine moslemische Schule, die sie aber nach kurzer Zeit verließ, um Nonne zu werden. Dazu hätte sie in den arabischen Teil Jerusalems umziehen müssen, doch unmittelbar vor der Abreise brach der Sechstagekrieg aus. Souhaila blieb in Kuweit und verließ die Schule mit einem der drei besten Abschlußzeugnisse unter 10 000 Studienbewerbern ihres Jahrganges. Dennoch erhielt sie keinen Studienplatz, weil sie weder kuweitische Staatsbürgerin war, noch über genügend gute Beziehungen verfügte. Sie kehrte in den Libanon zurück und studierte dort englische Sprache und Literatur.
Über Verwandte, die von der alten Heimat in Palästina erzählten, wurde sie langsam politisiert. Irgendwann im Jahre 1969 traf sie die berühmte Flugzeugentführerin Leila Khaled und entschied sich, ihr nachzueifern. Über Geldsammlungen, Blutspendeaktionen und ähnliche Aktivitäten wuchs sie langsam in den palästinensischen Widerstand hinein und nahm an humanitären Einsätzen und verschiedenen Hilfsaktionen in
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