Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
1977 )
Um 7 . 50 Uhr setzte Flugkapitän Schumann über Funk das Telegramm an den Bundeskanzler ab: »Das Leben von 91 Männern, Frauen, Kindern an Bord des Flugzeuges hängt von Ihrer Entscheidung ab. Sie sind unsere letzte und einzige Hoffnung. Im Namen der Besatzung und der Passagiere. Schumann.«
Kurz nach 8 . 00 Uhr trat der Kleine Krisenstab in Bonn zusammen. In der Dokumentation der Bundesregierung hieß es später dazu: »Da Treffpunkt und Treffzeit bekannt geworden sind, hält man es nicht für vertretbar, Hanns-Eberhard Schleyer den in der Deutschen Bundesbank bereitliegenden Geldbetrag auszuhändigen … Der anschließend zusammengetretene große Politische Beraterkreis macht sich diese Auffassung zu eigen.«
In der Tat hatte bereits am Vorabend die Zentrale der Deutschen Presseagentur in Hamburg von ihrem Stuttgarter Büro eine Meldung mit den Details der geplanten Geldübergabe erhalten, diese Nachricht aber nicht verbreitet.
Noch am Morgen gegen 9 . 00 Uhr hatte Hanns-Eberhard Schleyer mit Justizminister Vogel telefoniert und ihn noch einmal auf die Bedingungen seiner Mitwirkung bei der Geldübergabe hingewiesen. Vogel sagte, der Große Krisenstab habe noch nicht darüber entschieden, ob die Gefangenen freigelassen würden.
Um 9 . 40 Uhr meldete die dpa: »Schleyer-Sohn Eberhard soll fünfzehn Millionen Dollar übergeben. Die Behörden wollen mit der Auszahlung von fünfzehn Millionen amerikanischen Dollar an die Entführer am Samstagmittag eine der genannten Forderungen der Terroristen erfüllen. Aus diplomatischen Kreisen in Bonn wurde am Samstag bekannt, daß ein Sohn des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, Eberhard Schleyer, das geforderte Geld um 12 . 00 Uhr im Hotel ›Intercontinental‹ Frankfurt übergeben soll.«
Die Bundesregierung hatte auf Anraten des BKA -Präsidenten Horst Herold die Nachricht von der geplanten Geldübergabe selbst verbreiten lassen. Herold später: »Ich rechne mir das heute noch als Verdienst an, daß ich durch einen Trick diese Lieferung verhindert habe. Die Bundesregierung hätte die fünfzehn Millionen auch noch rausgeschmissen.«
Um 12 . 00 Uhr wimmelte es im Foyer des Hotels, in der Tiefgarage und in der näheren Umgebung des »Intercontinental« von über hundert Journalisten; zwei Aufnahmeteams des Fernsehens waren da.
Schleyer wurde im Hubschrauber nach Frankfurt geflogen, wo er im Gebäude der Deutschen Bundesbank untergebracht wurde. Dort traf er mit einem Experten zusammen, der mit ihm über die Markierung der als Lösegeld bereitgestellten fünfzehn Millionen Dollar sprechen sollte.
Nach der Rundfunkmeldung wurde von der Fahrt ins »Intercontinental« abgesehen. Gegen 13 . 00 Uhr telefonierte Schleyer noch einmal mit Vogel. Der Bundesjustizminister sagte ihm, der Große Krisenstab habe immer noch keine Entscheidung gefällt.
In Wirklichkeit hatte der »Große Politische Beraterkreis« schon auf seiner Morgensitzung, die bis 11 . 35 Uhr dauerte, die Marschrichtung festgelegt. In der Dokumentation der Bundesregierung heißt es dazu: »Es soll auf eine – notfalls gewaltsame – Befreiung der Geiseln in der entführten Lufthansa-Maschine hingearbeitet werden.«
Um 12 . 04 landete ein sechssitziger Jet vom Typ Hawker Siddely in Dubai. An Bord waren der Chef der in Ankara wartenden GSG 9 , Ulrich Wegener, und andere Sicherheitsexperten. Der Verteidigungsminister von Dubai lehnte eine Befreiungsaktion durch das deutsche Antiterrorkommando ab, begann aber, eine Aktion durch Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate vorzubereiten.
Währenddessen beschloß Rechtsanwalt Hanns-Eberhard Schleyer als letzte Möglichkeit zur Rettung seines Vaters, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Der Schriftsatz war von Kollegen in seiner Stuttgarter Anwaltskanzlei vorbereitet worden.
Im Namen seines Vaters beantragte er den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Bundesregierung und die beteiligten Länderregierungen zu zwingen, die Gefangenen, deren Freilassung verlangt wurde, freizugeben, um das Leben Hanns Martin Schleyers zu retten.
Um 15 . 00 Uhr wurde Hanns-Eberhard Schleyer mit dem Hubschrauber von Frankfurt nach Stuttgart gebracht. Kurz vor der Landung erhielt er über Funk die Nachricht, daß sich die Entführer seines Vaters im Hotel »Intercontinental« gemeldet hatten. Der Hubschrauber wendete und flog nach Frankfurt zurück. Schleyer wurde in ein vom BKA gemietetes Hotelzimmer
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