Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Passagiere erschießen. Dann wiederum wurde er ganz ruhig, hielt langatmige Referate über die gerechte palästinensische Sache und darüber, wie das Dorf Kofr Kaddum zerstört und seine Bewohner von den Zionisten niedergemetzelt worden seien.
Noch während die Maschine auf dem Flughafen von Dubai stand, wurden in der Bundesrepublik Briefe der Entführer an Presseorgane und an den Sohn Hanns Martin Schleyers verschickt. In den Umschlägen steckten die gemeinsamen Erklärungen des Kommandos »Siegfried Hausner« und der palästinensischen Flugzeugentführer, die schon am Tag zuvor dem Genfer Rechtsanwalt telefonisch übermittelt worden waren. Die Briefe – so stellten die Ermittler des Bundeskriminalamts fest – waren auf derselben Maschine geschrieben worden.
Am Morgen hatten die beiden Anstaltsgeistlichen in Stammheim auch die Gefangenen Irmgard Möller, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Verena Becker – die im »langen Flügel« des Gefängnistrakts saß – aufgesucht, um ihnen Gesprächsangebote zu machen. Die Unterhaltungen beschränkten sich auf wenige Worte. Jan-Carl Raspe stand in gebeugter Haltung im Türrahmen. Pfarrer Kurmann fiel auf, daß Raspes Gesicht nervös zuckte. Verena Becker wirkte stark verunsichert und gehemmt. Auf das Gesprächsangebot hin nickte sie leicht und sagte zögernd: »Ja.«
Gudrun Ensslin machte von allen Gefangenen den ruhigsten Eindruck.
Noch am selben Tag gingen Anstaltsleiter Nusser und der Vollzugsbeamte Bubeck zu Baader. Sie wollten ihn fragen, welchen Zweck das Gespräch mit Kanzleramtschef Schüler haben sollte. Baader gab keine Auskunft. Dann lachte er und sagte: »Wenn Schüler nicht bald kommt, muß er unter Umständen sehr weit reisen, um mit mir zu sprechen.« Und: »Es muß auf jeden Fall ein Politiker und nicht ein Polizist sein, der zu mir kommt.«
Am Vormittag war in Bonn das Bundeskabinett zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Justizminister Vogel trug rechtliche Erwägungen zur Frage eines Gefangenenaustausches vor. Auf der einen Seite stehe die unmittelbare und konkrete Lebensgefahr für die 87 Geiseln im Flugzeug und für Hanns Martin Schleyer, auf der anderen Seite die Bedrohung für eine unbestimmte Anzahl von Menschen, wenn die Gefangenen freigegeben würden. Ein Eingehen auf die Forderungen der Entführer sei rechtlich – gemäß Paragraph 34 , dem »rechtfertigenden Notstand« – weder unzulässig noch geboten. Es sei eine staatspolitische Entscheidung.
In der Dokumentation der Bundesregierung zu den Ereignissen um die Entführung Schleyers und der »Landshut« wurde die Strategie später so beschrieben: »Aufgrund umfassender Überlegungen zu allen relevanten Gesichtspunkten beschließt das Kabinett, daß alles Mögliche unternommen werden soll, um – ohne eine Freilassung der Gefangenen – die Geiseln zu retten, einschließlich der Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten sowie einer polizeilichen Befreiungsaktion.«
Um 15 . 50 Uhr startete Hans-Jürgen Wischnewski in einer Boeing 707 der Lufthansa nach Dubai. Bei sich hatte der wegen seiner guten Arabienkontakte »Ben Wisch« genannte Staatsminister einen Geldkoffer mit zehn Millionen D-Mark. Wischnewski wollte in Dubai um die Erlaubnis zu einem Einsatz der GSG 9 bitten.
Auf dem Copilotensitz saß Rüdiger von Lutzau, der Freund der »Landshut«-Stewardeß Gabi Dillmann. Er hatte sich freiwillig für den Einsatz gemeldet. »Tatenlos rumzusitzen, das macht einen fertig. Das belastet einen noch mehr als die Information, jetzt ist das passiert, jetzt ist das passiert. Und ich wollte so dicht wie möglich dran sein und versuchen zu helfen, irgendwie, ja, hilfreich zu sein. Und da dachte ich, das ist am geschicktesten, wenn ich mitfliege.«
An Bord war auch der Psychologe Wolfgang Salewski, der die Regierung in den Wochen zuvor beim Umgang mit den Schleyer-Entführern beraten hatte.
Unbemerkt von den Insassen der »Landshut« landete die 707 eine halbe Stunde vor Mitternacht auf einer abgelegenen Rollbahn des Flughafens Dubai.
Rechtsanwalt Payot in Genf erhielt an diesem Abend eine Eilsendung der Schleyer-Entführer, ein Videoband mit einer Erklärung des Arbeitgeberpräsidenten:
»Ich frage mich in meiner jetzigen Situation wirklich, muß denn nun etwas geschehen, damit Bonn endlich zu einer Entscheidung kommt?
Schließlich bin ich nun fünfeinhalb Wochen in der Haft der Terroristen, und das alles nur, weil ich mich jahrelang für diesen Staat
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