Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
zur Befreiung der Flugzeuggeiseln vorbereitet werde. »Das hatte zum Beispiel die Konsequenz, daß unsere Entscheidung erst am frühen Morgen verkündet wurde, obwohl wir etwa sechs Stunden vorher bereits fertig waren«, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, Ernst Benda, später.
Die Richter hätten sich auch mit der Frage beschäftigt, wie die Schleyer-Entführer auf die Gerichtsentscheidung reagieren würden. »Wir haben uns überlegt, daß es in jedem Fall und erst recht in Verbindung mit der Lufthansa-Entführung gut sei, die Entscheidung so lange, wie es irgend ging, hinauszuzögern, weil wir uns vorstellten, daß Schleyer sicher war, solange die Entscheidung noch nicht gefallen beziehungsweise noch nicht bekanntgegeben war. Und natürlich wußten wir, daß möglicherweise die Entscheidung, die den Antrag der Familie Schleyer zurückwies, den Effekt haben würde: Jetzt bringen wir den um. Mit dieser Möglichkeit haben wir gerechnet; die war uns bewußt.«
Es sei eine Abwägungsentscheidung gewesen: das konkret bedrohte Leben einer bestimmten Person gegen das Leben einer unbekannten Zahl potentieller Opfer.
»Es ist für mich keine Erleichterung«, sagte Benda, »aber ich will es immerhin notieren, daß wohl feststeht, daß Schleyer nicht als Reaktion auf unsere Entscheidung umgebracht wurde, sondern auf die Vorgänge dann in Stammheim.«
Am frühen Nachmittag des 15 . Oktober, kurz nachdem Hanns-Eberhard Schleyer das Bundesverfassungsgericht angerufen hatte, war vom BKA eine neue Nachricht für die Entführer an Rechtsanwalt Payot übermittelt worden: Die von den Flugzeugentführern angegebenen Zielländer Vietnam und Südjemen hätten es strikt abgelehnt, Terroristen aufzunehmen. »Das vom gleichen Kommando auch genannte Somalia ist bisher von den Gefangenen nicht genannt worden.«
Da Baader erklärt habe, sie wollten nicht in irgendein Land ausgeflogen, sondern an der Festlegung des Ziellandes beteiligt werden, müßten die Gefangenen erneut befragt werden. Das sei eingeleitet worden.
Es war die 25 . Mitteilung des BKA an die Schleyer-Entführer.
Wieder erhielt der BKA -Beamte Klaus den Auftrag, mit dem Hubschrauber nach Stammheim zu fliegen. Gegen 18 . 15 Uhr legte er den Gefangenen nacheinander einen neuen Fragebogen vor:
»Die Entführer haben durch das Kommando ›Martyr Halimeh‹ vom 13 . 10 . Vietnam, Südjemen und Somalia als Zielländer genannt. Vietnam und Südjemen haben die Aufnahme von Terroristen bereits strikt abgelehnt. Somalia wird im Augenblick befragt. Sind Sie bereit, sich ausfliegen zu lassen?«
Gudrun Ensslin unterzeichnete den Fragebogen und antwortete mit »Ja«.
Jan-Carl Raspe schrieb: »Die endgültige Entscheidung mache ich von einer gemeinsamen Besprechung aller Gefangenen, die freigelassen werden sollen, abhängig und bin unter diesem Vorbehalt bereit.«
Irmgard Möller schrieb: »Ja, unter der Voraussetzung, daß die BRD -Regierung unsere Auslieferung von dort nicht betreibt.«
Andreas Baader zögerte mit einer Antwort, er sagte: »Mir ist die Aufnahmebereitschaft der Volksrepublik Vietnam bekannt. Ich ziehe es vor, dorthin ausgeflogen zu werden. Jetzt kann ich es ja sagen. Einer unserer Anwälte hat auf dem diplomatischen Kanal die Zusicherung der Vietnamesen für die Aufnahme erhalten.« Er machte eine kleine Pause. »Allerdings nicht im Zusammenhang mit einer Geiselnahmeaktion.« Baader wirkte nervös und unsicher.
Er schrieb auf den Fragebogen: »Nur, wenn das Kommando tatsächlich Somalia genannt hat.« Dann meinte er: »Wenn die Gefangenen in Somalia zurückgekauft werden sollen, dann können wir ja gleich hierbleiben.« Andreas Baader kam noch einmal auf das geforderte Gespräch mit Staatssekretär Schüler zurück: »Ich lege größten Wert darauf, um mit ihm die politische Dimension des Gefangenenaustausches zu erörtern.« Als er den Besucherraum schon verlassen hatte, kehrte er noch einmal zurück: »Bitte geben Sie diesen Gesprächswunsch unter allen Umständen weiter.«
Keiner der Gefangenen hatte die Frage gestellt, was es mit dem Kommando »Martyr Halimeh« überhaupt auf sich habe.
Niemand wunderte sich darüber, daß die Gefangenen trotz Kontaktsperre offenkundig miteinander sprechen und Informationen von außen erhalten konnten.
Nachtdienstmeldung, 15 . Oktober:
»Herr Klaus vom BKA war von 18 . 10 bis 18 . 45 Uhr bei den Gefangenen Baader, Raspe, Ensslin, Möller und Becker. Auch Herr Amtsinspektor
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