Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
der sogar einen – allerdings kaum funktionsfähigen – verrosteten Revolver besaß, dessen Freundin Petra Schelm sowie Mahlers Freundin Renate.
Die Tatsache, daß Mahler Chef einer kleinen Gruppierung war, behagte Baader keineswegs. Im Laufe der Diskussion wurde jedoch sehr schnell deutlich, daß Mahlers Führungsrolle nicht unangreifbar war. Schließlich hatte der Anwalt bis dahin nichts als eine Rechtsanwaltspraxis geführt. Baader und Ensslin aber hatten bereits revolutionäre Praxis in deutschen Kaufhäusern gezeigt. Die zweite Besprechung mit Mahler in der kleinen Hinterhauswohnung Manfred Grashofs endete mit der Vereinbarung, sich in Zukunft gemeinsam auf den Untergrundkampf vorzubereiten. Ulrike Meinhof war nicht dabei.
Die erste Aktion wurde so etwas wie eine Mutprobe für Horst Mahler. Molotowcocktails sollten in das Verwaltungsbüro des Märkischen Viertels geworfen werden. Nach Abschluß des Gespräches wurden vier Flaschen präpariert, und dann zog die Truppe los. Scheiben splitterten, als die »Mollies« in das Büro flogen und das Mobiliar ansengten. Allein Horst Mahlers Cocktail ging daneben. Aber immerhin, er hatte geworfen. Der Schritt zur Tat war vollzogen. Nicht lange nach dieser Aktion wurde klar, daß Baader und Ensslin in Ulrikes Wohnung nicht mehr sicher waren. Mahler besorgte eine neue Unterkunft, nicht weit von der Kufsteiner Straße. In einem Neuköllner Möbellager, wo Einrichtungsgegenstände amerikanischer Soldaten zu Discountpreisen verhökert wurden, deckten sich Baader und Ensslin ein. Horst Mahler half ihnen, die Möbel nach oben zu tragen. Der Hausmeister kannte den Anwalt und begrüßte ihn artig mit »Guten Tag, Herr Mahler«. Die Wohnung blieb auch später noch Ausweichquartier für die Gruppe, und selbst als Mahler schon gesucht wurde, machte der Hausmeister keine Meldung bei der Polizei.
Andreas Baader gab die erste Probe seiner konspirativen Fähigkeiten. Der Eingangsflur zur Wohnung wurde mit gutem Geschmack bürgerlich eingerichtet, mit einem von Ulrike Meinhof gekauften Teppich, einem Biedermeiertisch und modischen Wandlampen. Es mußte vorgesorgt werden für den Fall, daß etwa der Postbote oder ein Nachbar an der Tür erschien. Die anderen Zimmer wurden lediglich als Matratzenlager hergerichtet. Das Ganze sollte wirken wie ein Wohnbüro. Um diesen Eindruck zu vervollkommnen, bespielte Baader ein Tonband mit Schreibmaschinengeklapper und ließ es stundenweise ablaufen. Nach und nach wurden weitere Wohnungen angemietet, aber noch nicht bezogen – auf Vorrat gewissermaßen. Langsam weitete sich der Personenkreis aus, neue Leute kamen dazu, manche blieben, manche sprangen wieder ab. Ulrike Meinhofs Rolle war die einer teilnehmenden Beobachterin. Ihr mehrmals zaghaft vorgebrachtes, aber wichtigstes Argument gegen einen Absprung in den Untergrund war die Sorge um ihre Kinder. Es war unvorstellbar für sie, ihre Kinder aufzugeben, wie es Gudrun Ensslin mit ihrem Sohn gemacht hatte. Immer wieder kreisten die Diskussionen um dieses Problem. Schließlich erzeugte die Entwicklung der Gruppe aber eine Eigendynamik, der sie sich nicht mehr entziehen konnte und wollte.
Für den geplanten illegalen Kampf wurden natürlich Waffen gebraucht. Irgend jemand kam auf den Gedanken, an der Mauer Streife gehenden Polizisten die Pistole abzunehmen. Man setzte sich hin, nähte aus Stoffresten kleine Säckchen für Bleikugeln. Es waren Kugeln, mit denen normalerweise Gardinen am unteren Rand beschwert werden. Andreas Baader, der sich früher häufig seine Hosen selber genäht hatte, entwickelte besonderes Geschick mit Nadel und Faden. Die Säcke, dicken, schweren Würsten gleich, sollten nachts einem allein patrouillierenden Polizeibeamten von hinten über den Kopf geschlagen werden, um dem so betäubten Beamten die Waffe abnehmen zu können. Ein Knüppel oder eine Eisenstange kam dafür nicht in Frage, schließlich war man ja kein Barbar. Nach Fertigstellung der Bleisäckchen stahlen sie ein Auto und fuhren nach Neukölln – in eine abgelegene Gegend dicht an der Mauer. Doch statt des erwarteten einsamen Streifengängers trafen sie nur auf Polizisten, die zu zweit oder gar zu dritt ihre nächtliche Runde drehten. Die Aktion wurde abgebrochen.
Einer, der dabei war, erinnert es so: »Wir wollten an der Mauer in Kreuzberg zwei Polizisten, die Doppelstreife gingen, mit Äther betäuben und ihnen die Uniformen und die Maschinenpistolen abnehmen. Das hat Mahler vermasselt. Als wir
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