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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Wirkung würde nie wieder aufhören. Es war die Angst, verrückt zu werden, die sie nach ihrer Operation kennengelernt hatte.
    Mit Andreas Baader wäre sie wohl nicht allein auf den Trip gegangen. Aber da war Gudrun Ensslin, in deren Leben sie Gemeinsamkeiten mit sich selbst entdeckt hatte und von der sie fasziniert war. Sie hatte kompromißlos gehandelt, wie Ulrike meinte. Mit ihr sprach sie in dieser Nacht auch darüber, daß Gudrun ihr Kind verlassen hatte, um mit der Vergangenheit vollständig zu brechen. Gudrun Ensslin vertrat missionarisch eine neue Moral, die Moral der Revolutionäre, die einen Strich durch die eigene Herkunft machen und hinter sich alle Brücken verbrennen müßten. Deshalb sei Besitzlosigkeit und Illegalität für sie die einzig noch mögliche Lebensform.
    Im Verlauf der nächtlichen Euphorie entwickelte Ensslin ein neues »Glaubensbekenntnis«, ein Gegenbekenntnis zu ihrer eigenen Herkunft. Alle zehn Gebote müßten gebrochen werden. Aus dem biblischen Gebot »Du sollst nicht töten« müsse in dieser Welt der Gewalt werden: »Du mußt töten.« Als die Wirkung des LSD am Morgen ausklang, frühstückten sie gemeinsam im Café Kranzler.
     
    Viele ihrer früheren Freunde gaben damals ihr studentisches Leben vorübergehend auf. Sie arbeiteten in Fabriken, um ihre »Schuld«, in die falsche Klasse hineingeboren zu sein, durch körperliche Arbeit inmitten des Proletariats abzutragen. Auch angehende Schriftsteller waren dabei, »Betriebsarbeit« zu leisten. Das hatte immerhin den Vorteil, neben der Möglichkeit zur Agitation auch seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. »Dem Volk dienen!« hieß die Mao-Losung dieser Zeit. Andere, die dem frühen Aufstehen nicht soviel abgewinnen konnten, riefen ihnen hinterher: »Seid schlau, bleibt beim Überbau!«
     
    Etwa zwei Wochen blieben Ensslin und Baader in der Kufsteiner Straße. Den Zwillingen Bettina und Regine, damals sieben Jahre alt, wurde gesagt, daß es sich bei den beiden Besuchern um Andreas Baader und Gudrun Ensslin handele, daß diese ein Kaufhaus angezündet hatten und deswegen von der Polizei gesucht wurden. Aus diesem Grunde sollten sie die beiden im »Kinderladen« und in der Schule nicht erwähnen und sie zu Hause nur »Hans« und »Grete« nennen. Diese beiden Namen behielten Baader und Ensslin auch später als Decknamen.
    Ulrike meinte, ihre beiden Gäste seien »Genossen«, besonders gute sogar. Die Zwillinge aber fanden an Baader überhaupt keinen Gefallen. Er war offenbar nicht besonders kinderlieb. Als Bettina eines Tages hinfiel und sich die Knie blutig schlug, hob er sie nicht auf, sondern lachte nur schadenfroh. Später, als die Kinder Karl-May-Bücher lasen, fand Bettina in »Winnetou  I « eine Figur, die sie an Baader erinnerte. Es war Rattler, der zu einer Truppe rauhbeiniger Landvermesser gehörte, skrupellos war und gleichzeitig feige, so daß die Indianer später seine Hinrichtung am Marterpfahl abbrachen und ihn voller Verachtung im Fluß ertränkten.
     
    Baader und Ensslin hatten zu dieser Zeit nicht etwa konkrete Pläne, eine Stadtguerillatruppe aufzubauen. Im Kopf bewegten sie sehr vage Vorstellungen von Randgruppenstrategien, zwar aus der Illegalität heraus, auch militant, aber keineswegs militärisch. Vordringliches Ziel indessen war schlichtweg, Wohnungen zu besorgen, Geld zu beschaffen, Kontakte zu knüpfen.

25. Mutproben
    Eines Nachts kam es zum Treffen mit Dieter Kunzelmann, der ebenfalls von der Polizei gesucht wurde. Es entwickelte sich eine lange, harte Diskussion um die Frage, ob sich Baader und Ensslin und die Gruppe um Kunzelmann verbünden sollten. Es stellte sich schnell heraus, daß das kaum zu realisieren war, weil sich der radikal-maoistische Kurs von Baader und Ensslin – so vage formuliert er auch sein mochte – nicht mit dem »Blues« vereinbaren ließ.
    Der »Blues«, das war ein Synonym für den militanten, aus der Hasch-Szene entstandenen Untergrund, jene Szene, aus der sich später die »Bewegung 2 . Juni« entwickelte.
    Im Hintergrund aber stand Baaders Führungsanspruch. Damit wollte sich Kunzelmann nicht abfinden, immerhin hatte er schon eine Gruppe um sich geschart. Aus der Zusammenarbeit wurde nichts.
    Mahler nahm an dem Gespräch teil. Baader und Ensslin waren höchst irritiert, daß auch der Rechtsanwalt mit dem Aufbau einer eigenen Truppe schon recht weit fortgeschritten war. Manfred Grashof, von Mahler zuvor juristisch vertretener Bundeswehrdeserteur, gehörte dazu,

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