Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
der 30 . April, meldete sich nach 12 . 00 Uhr mittags eine Frau an der Anstaltspforte und legte einen Personalausweis auf den Namen Dr. Gretel Weitemeier vor. Keinem der Beamten fiel auf, daß es sich um die ebenfalls gesuchte Gudrun Ensslin handelte, die ihren Freund Andreas besuchen wollte. Für eine Stunde konnten sie zusammen sein, unter Aufsicht eines Justizbeamten. Weil alles gutgegangen war, besuchte Ensslin ihn noch zweimal, zuletzt einen Tag vor der Befreiung.
An jenem 30 . April war auch ein Kriminalhauptmeister von der Staatsschutzabteilung der Berliner Polizei in Tegel. Gemeinsam mit einem Staatsanwalt vernahm er den Strafgefangenen Eckehard L. Der Häftling galt bei der Polizei als Wichtigtuer, der sich gelegentlich durch frei erfundene Hinweise auf bevorstehende APO -Aktionen Vorteile verschaffen wollte.
So waren die Beamten skeptisch, als sie dem Gefangenen gegenübersaßen. Sie waren auf das, was er ihnen sagen wollte, vorbereitet. Schon eine Woche zuvor hatte sich der Häftling an einen Vollzugsbeamten gewandt: »Ein Gefangener aus dem Haus I will ausbrechen. Er soll mit Hilfe der APO befreit werden.«
Der Wachtmeister fragte nach dem Namen. »Baader«, sagte der Häftling.
Der Vollzugsbeamte kannte Andreas Baader nicht. Er kannte aber einen anderen Häftling mit dem Namen Bader, Paul.
Er schrieb seine Meldung an den Anstaltsleiter: »Dem einsitzenden Gefangenen Bader, Paul, soll mit Hilfe der APO eine Entweichung ermöglicht werden.«
Der Polizeibeamte vom Staatsschutz, APO -Spezialist, erkannte den Irrtum und wies den Justizbeamten darauf hin, daß nicht Paul Bader, sondern Andreas Baader gemeint war. Die Meldung wurde handschriftlich abgeändert. Aus »Paul« wurde »Andreas«. Um ganz sicherzugehen, unterrichtete der Kriminalbeamte auch noch den Anstaltsleiter Glaubrecht persönlich über den angeblich geplanten Ausbruch Andreas Baaders.
Am selben Tag ging in der Anstalt ein Brief des Verlags Klaus Wagenbach ein, in dem es hieß, daß Andreas Baader und Ulrike Meinhof gemeinsam ein Buch über randständige Jugendliche verfassen sollten. Bei einem der Besuche fragte Ulrike Meinhof, ob es nicht möglich sei, daß Andreas Baader zur Sichtung von Literatur ausgeführt werden könne. In einem wissenschaftlichen Institut in Berlin gebe es Zeitschriften aus den zwanziger Jahren, deren Lektüre für das Buchprojekt unverzichtbar sei.
Der Anstaltsleiter Glaubrecht lehnte ab: »Eine mehrfache Ausführung ist schon wegen unseres Personalmangels nicht möglich.«
Baaders Anwalt Horst Mahler war gerade in Tegel. Er wollte sich damit nicht abfinden und bestand darauf, sofort den Anstaltsleiter zu sprechen. Dort zog der Rechtsanwalt noch einmal alle Register. Es gebe niemanden, der Baader die Auswahl aus der Autorenkartei abnehmen könne.
Glaubrecht zeigte sich beeindruckt und stimmte einer einmaligen Ausführung von zwei bis drei Stunden zu, Mahler unterrichtete Baader, der gerade Besuch von Ulrike Meinhof hatte, vom Erfolg seiner Bemühungen.
Als der Anwalt gegangen war, bat Glaubrecht um die Akte Baader. Noch am selben Tag rief jemand aus der Anstaltsleitung beim Institut für soziale Fragen an und vereinbarte den Häftlingsbesuch für den übernächsten Tag, Donnerstag, den 14 . Mai 1970 , 9 . 00 Uhr morgens.
Die Kerntruppe, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Andreas Baader zu befreien, bestand im wesentlichen aus Frauen. Daß der bekannte Anwalt Horst Mahler nicht selbst bei der Befreiung mitwirken konnte, leuchtete allen Beteiligten ein. Dennoch sollte – Emanzipation hin, Emanzipation her – auf jeden Fall ein Mann an der Aktion teilnehmen. Daraufhin gab Mahler einen Tip. Wenige Tage vor der Befreiung sprach Gudrun Ensslin den von Mahler vorgeschlagenen Mann im Republikanischen Club an. Sie wußte, daß er schon im Knast gesessen und einige »harte Sachen« gemacht hatte. Für die Aktion waren das recht günstige Voraussetzungen, so schien es ihr. Der Mann sagte spontan zu, konnte wohl auch nicht so richtig überblicken, welche Tragweite seine Entscheidung hatte.
Was fehlte, waren Waffen, und die konnten am einfachsten in der kriminellen Szene erworben werden. Zwei der Frauen folgten einem Tip aus der Unterwelt und suchten spätnachts eine dem rechtsradikalen Milieu zugehörige Kneipe mit dem Namen »Wolfsschanze« auf. Sie sprachen den Geschäftsführer an, ob er ihnen eine Pistole oder gar eine Maschinenpistole verkaufen könne. Er reagierte abweisend. »Du kannst es dir ja
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