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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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sind unheimlich politisch, weil sie etwas darüber aussagen, ob Menschen unterdrückt sind oder frei sind. Ob sie Gedanken fassen können oder ob sie keine Gedanken fassen können. Ob sie was tun können oder nichts tun können. Von den Bedürfnissen der Kinder her gesehen ist die Familie, ja ist die Familie der stabile Ort mit stabilen menschlichen Beziehungen notwendig und unerläßlich.«
    Ulrike Meinhof machte eine Pause. Mit leiser Stimme fuhr sie fort: »Schwer – schwer – unheimlich schwer – na, es ist schwer – ist unheimlich schwer. Das ist natürlich viel einfacher, wenn man ein Mann ist und wenn man also eine Frau hat, die sich um die Kinder kümmert, und das geht in Ordnung. Und die Kinder brauchen ja wirklich stabile Verhältnisse und einen, der wirklich viel Zeit für sie hat. Und wenn man Frau ist und also keine Frau hat, die das für einen übernimmt, muß man das alles selber machen – es ist unheimlich schwer.«
    Sie unterbrach ihren Redefluß, so als hätte sie sich selbst dabei ertappt, allzuviel Privates herauszulassen. Plötzlich wurde sie wieder ganz sachlich und politisch:
    »Also ist das Problem aller politisch arbeitenden Frauen – mein eigenes inklusive – dieses, daß sie auf der einen Seite gesellschaftlich notwendige Arbeit machen, daß die den Kopf voll richtiger Sachen haben, daß sie eventuell auch wirklich reden und schreiben und agitieren können. Aber auf der anderen Seite mit ihren Kindern genauso hilflos dasitzen wie alle anderen Frauen auch. Und sehr viele von diesen Frauen haben dieselben Schwierigkeiten innerhalb ihrer Familien, die alle anderen Frauen auch haben.
    Wenn man so will, ist das die zentrale Unterdrückung der Frau, daß man ihr Privatleben als Privatleben in Gegensatz stellt zu irgendeinem politischen Leben. Wobei man umgekehrt sagen kann, da, wo politische Arbeit nicht was zu tun hat mit dem Privatleben, da stimmt sie nicht, da ist sie perspektivisch nicht durchzuhalten.
    Man kann nicht antiautoritäre Politik machen und zu Hause seine Kinder verhauen. Man kann aber auf die Dauer auch nicht zu Hause seine Kinder nicht verhauen, ohne Politik zu machen, das heißt, man kann nicht innerhalb einer Familie die Konkurrenzverhältnisse aufgeben, ohne nicht darum kämpfen zu müssen, die Konkurrenzverhältnisse auch außerhalb der Familie aufzuheben, in die jeder reinkommt, der also …«
    Sie zögerte und setzte dann ganz leise hinzu: »… seine Familie anfängt zu verlassen.«
    Wenige Monate später sollte Ulrike Meinhof ihre Kinder verlassen.
     
    Ulrike fiel in immer tiefere Selbstzweifel. Zwei kleine Texte hatte sie noch über den »Bambule«-Film verfassen sollen. Sie schrieb sie lieblos herunter und schickte sie an den Fernsehredakteur Waldmann.
    »Das Problem ist, daß mich die Dreharbeiten ziemlich fertig gemacht haben, daß ich nun erst voll begriffen habe, wie sie mich eineinhalb Jahre lang korrumpiert hat [sic!], insofern sie für mich ein unausgesprochenes Verbot darstellte, das Selbstverständliche zu tun, nämlich aus meinen Kenntnissen der Heime die richtigen, das heißt praktischen Konsequenzen zu ziehen.«
    Natürlich könne sie ihm das nicht vermitteln, denn er sei ja auch nur ein Schreiber. Sein Job sei das Fernsehspiel. Also könne er sie nur für verrückt erklären.
    »Nur ist mir jetzt wirklich klar geworden, daß ein Aufstand im Heim, die Organisierung der Jugendlichen selbst, tausendmal mehr wert sind als zich Filme.«
    Sie selbst habe keine Lust mehr, ein Autor zu sein, der die Probleme der Basis in den Überbau hieve, womit sie nur zur Schau gestellt würden, damit andere sich daran ergötzten, zu ihrem eigenen Ruhm. »Verstehst Du? Das habe ich kapiert, daß ich mit diesem Film nichts als ein ästhetisches Verhältnis zu den Problemen dieser proletarischen Jugend herstelle, wie jeder andere Schriftsteller auch – daß das Gewäsch ist, Revolutionsgewäsch.«
    Konsequenz daraus sei gewesen, daß sie ein fest vereinbartes Interview über den Film abgesagt habe. »Ich kann mir unter diesen Umständen auch keinen neuen Film von mir vorstellen. Was ich vorhabe, ist, politisch zu arbeiten.«
    Am Ende wurde sie noch einmal versöhnlich: »Versuche mal, jetzt nicht bitterböse auf mich zu sein, sondern die Geschichte ein bißchen zu verstehen. Sie ist nicht einfach verrückt. Im Grunde ist sie nur konsequent und zum Glück noch nicht so korrupt, daß ich es nicht noch ticken kann. Tschüß für heute. Ulrike.«
     
    Ulrike Meinhof

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