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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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war mehr und mehr fasziniert von seinen Untersuchungsobjekten. Ihn beeindruckten die Unbedingtheit, die Furchtlosigkeit und auch die Rücksichtslosigkeit sich selbst gegenüber.
    Für Alfred Klaus stellte sich ein völlig neues Bild von Kriminalität dar. Es waren »Täterpersönlichkeiten«, mit denen die Polizei bis dahin nie zu tun gehabt hatte. Sie waren intelligent und zu allem entschlossen, ohne Rücksicht auf das eigene Leben. Darauf mußte sich die Polizei einstellen.
    Klaus hatte den Eindruck, daß dies der Polizei besser gelang als der Justiz, denn manch ein Richter hatte seine Beförderung abgelehnt, um nicht Vorsitzender einer Strafkammer zu werden, die sich mit Terroristen herumzuschlagen hatte.
    Das Sonderreferat der Sicherungsgruppe Bonn, zu dem Klaus gehörte, war nun primär für die Terroristenjagd zuständig. Beamte aus den Landeskriminalämtern wurden jeweils für mehrere Monate nach Bad Godesberg abkommandiert, um für den Einsatz vor Ort ausgebildet zu werden. So entstanden auch die persönlichen Verbindungen, die eine schnelle Kommunikation zwischen BKA und Landeskriminalämtern ermöglichten. Bundesinnenminister Genscher setzte sein Vertrauen in das Bundeskriminalamt als Zentrale der Verbrechensbekämpfung. 1969 hatte das BKA einen Etat von 24 , 8 Millionen Mark. 1970 wurde dieser Etat um ein Drittel erhöht, auf 36 , 8 Millionen. In den folgenden beiden Jahren sollten jeweils 20  Millionen Mark dazukommen. Im selben Zeitraum sollte das Personal in Wiesbaden von 934  Beamten Anfang 1970 auf 1779 Beamte im Jahre 1972 annähernd verdoppelt werden.
    Zusätzlich wurden von den Ländern regionale Sonderkommissionen zur Terrorismusbekämpfung aufgestellt.
    Alfred Klaus blieb zuständig für Hintergründe, Ideologie und Familienbetreuung. Später wurde er auch dafür eingesetzt, inhaftierte Gruppenmitglieder zu besuchen. Er wollte und sollte mit ihnen ins Gespräch kommen. Bald nannte er sich selbst »Familienbulle«.
    Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wurde für ihn fast zum wichtigsten Lebensinhalt. Immer wieder las er die neu erschienenen politischen Manifeste der Gruppe und versuchte, seinen Kollegen klarzumachen, daß sie die politischen Motive nicht außer acht lassen dürften. Viele Beamte sträubten sich dagegen. Es fielen Bemerkungen wie: »Du bist ja der Chefideologe der ›Roten Armee Fraktion‹. Du sagst denen erst, was sie wollen.«
    Später, nach dem Tod der RAF -Gründer, schrieb Alfred Klaus im Auftrag des Innenministeriums Analysen der Zellenzirkulare der Stammheimer Häftlinge. Es kam häufig vor, daß Gefangene aus dem Umfeld der RAF sich ans Innenministerium wandten und um Übersendung der Klaus-Materialien baten. Nirgendwo sonst konnten sie sich so leicht über die Gedankengänge der ersten RAF -Generation informieren.

19. Der Verfassungsschützer
    Beamte der BKA -Sonderkommission, örtliche Polizisten und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bildeten gemeinsame Einsatzgruppen. Vor allem die Verfassungsschutzbeamten aus Berlin kannten den linken Untergrund verhältnismäßig gut.
    Einer der Spezialisten war der Verfassungsschutzbeamte Michael Grünhagen.
    Bereits 1968 hatte er sich an verschiedenen APO -Aktivitäten beteiligt. In der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten im Berliner SPD -Bezirk Wilmersdorf brachte Grünhagen es zum stellvertretenden Vorsitzenden. Zu jener Zeit bildeten sich eine Reihe von Stadtteil-Basisgruppen, die vor allem »Mieteragitation« betrieben. Der Verfassungsschutzmann engagierte sich in der Basisgruppe Wilmersdorf, zu der auch Rechtsanwalt Klaus Eschen, Sozius von Horst Mahler, und der Mitbegründer des Untergrundblattes »Agit 883 « und spätere Bundestagsabgeordnete der Grünen, Dirk Schneider, gehörten. Grünhagen nannte sich in der Szene Michael Hagen und begründete seine Namensänderung damit, daß es ihm die SPD übelnehmen könnte, wenn er sich in einer APO -Zelle betätigte. »Hagen« kam regelmäßig zu den wöchentlichen Sitzungen. Er schien viel Zeit zu haben und erklärte das mit seiner Tätigkeit als Mitarbeiter beim »Gewerbeaußendienst«. Er müsse nur abends in Gaststätten auf die Einhaltung der behördlichen Richtlinien achten.
    Eines Tages sollte die Adressenkartei der Basisgruppe Wilmersdorf neu geordnet werden. Grünhagen bot sich an, diese mühevolle Aufgabe zu übernehmen. Eine Woche später kam er mit einem Packen ordentlich getippter Karteikarten zurück. Die säuberliche Maschinenschrift, offenkundig mit

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