Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Sicherheitsmaßnahmen«, sagte Ulrike. »Wir können nicht einfach in eine fremde Stadt gehen und Aktionen starten, ohne mit der Örtlichkeit vertraut zu sein.« Baader wurde wütend: »Die Aktionen müssen blitzartig durchgeführt werden. Die Fehlschläge gehen auf das ungeschickte Verhalten einzelner zurück. Es ist nicht die Gesamtplanung.« Die Diskussion nahm an Heftigkeit zu, drehte sich im Kreise. »Jetzt sind wir alle zusammen«, sagte Ulrike Meinhof, »jetzt probieren wir doch mal, das zu diskutieren. Wenn es nicht weitergeht, dann müssen wir Fehler gemacht haben.«
»Fehler, klar sind Fehler gemacht worden. Aber von einzelnen, nicht von der Gruppe. Also müssen sich die einzelnen ändern, nicht die Gruppe«, antwortete Baader mit zunehmender Lautstärke. Jetzt wurde auch Ulrike Meinhof laut: »Diese planlose Rumrennerei, dieses Hetzen – wenn’s hier nicht klappt, dann gehen wir mal schnell in die nächste Stadt. Man hat nie überlegt, warum was nicht geklappt hat.«
Baader brüllte: »Ihr Fotzen, eure Emanzipation besteht darin, daß ihr eure Männer anschreit!« Plötzlich war Stille. Gudrun Ensslin sagte ganz ruhig: »Baby, das kannst du gar nicht wissen.«
Das verschlug Baader die Sprache. Astrid Proll versuchte einzugreifen, aber sie war inzwischen ohnehin zum roten Tuch für Baader geworden. Die übrigen saßen stumm und entsetzt daneben. In die peinliche Stille hinein sagte Marianne zu Baader: »Hör mal, ich halte viel aus, ich kann viel aushalten, aber das mach ich nicht mit, das halte ich einfach nicht durch. Wieso kannst du nicht sachlich zu Ulrike sein?«
»Wer in dieser Gruppe ist«, sagte Baader, »der muß einfach hart sein. Der muß das durchhalten können. Wenn du nicht hart genug bist, hast du hier nichts zu suchen. Der Druck der Illegalität, der führt zum Aggressionsstau, das muß man rauslassen, das kann man nicht nach außen ablassen, wegen der Illegalität, das muß man innerhalb der Gruppe ablassen, und dann kracht es natürlich, das muß man verkraften, so hart muß man sein.«
Sie diskutierten mehrere Stunden lang. Schließlich setzte sich Andreas Baader mit seiner Meinung durch.
Es war die Übungsphase der Stadtguerilla. Und niemand konnte erahnen, daß die RAF das Land über Jahrzehnte in Atem halten würde. Der Untergrundkampf entwickelte seine eigene Dynamik.
Es war nie die Gruppe, die den Kurs bestimmte. Es waren Baader und Ensslin.
Astrid Proll: »Natürlich hatten Leute Angst – Angst vor Verhaftung, oder sie fühlten sich unwohl im Gruppendruck –, aber das wurde nicht thematisiert. Davor hatte man Angst, das galt schon als Verrat. Und man wollte Gefahr abwehren, indem man sich immer mehr in Gefahr begab.«
Die Illegalität wurde zum Selbstzweck, zum Mittel, die Gruppe zusammenzuhalten.
Die neuen Aufgaben wurden verteilt. Noch von Nürnberg aus rief Beate Sturm in Leverkusen an, um zu erfahren, wie ihre Eltern das Weihnachtsfest verbracht hatten. Ihre Mutter war besorgt: »Die Polizei ist bei uns gewesen und hat nach dir gefragt. Bei jemandem, der geschossen hat, ist ein Brief von dir gefunden worden.«
Zusammen mit den anderen fuhr Beate Sturm nach Kassel, um dort für einen Überfall geeignete Sparkassen auszukundschaften. Während sie durch die Stadt streifte, dachte sie über ihre Lage nach. Um ein Fluchtauto zu lenken, reichte ihre Fahrpraxis nicht aus. Andererseits galt sie in der Gruppe als zu lahm, die Gelder in der Kasse zusammenzuraffen. Sie malte sich aus, daß es ihre Aufgabe sein würde, mit der Waffe in der Hand im Schalterraum einer Bank zu stehen. In der Phantasie spielte sie durch, was dabei geschehen könnte.
Es mußte nur einer nervös werden, und es käme zu einer Schießerei. An eine solche Vorstellung konnte und wollte sie sich nicht gewöhnen. Hier, so dachte sie, würde nicht der Klassenfeind getroffen, sondern das Volk in Gestalt der Sparkassenangestellten. Die Fehler und Lücken im ideologischen und theoretischen Konzept gingen ihr durch den Kopf.
Die Erfahrungen in Stuttgart, Baaders Streit mit Ulrike hatten ihr den Rest gegeben. Sie war ganz einfach fertig. Zwar hatte sie das Gefühl gehabt, wirklich emanzipiert zu sein, weil die Frauen manche Dinge einfach besser konnten als die Männer, weil sie stärker waren, weniger Angst hatten, sich weniger stritten. Aber die Rangunterschiede hatten sie gestört. Sie dachte an Stuttgart, wo sie verschiedene Wohnungen gehabt hatten. Aber wer wohnt wo? Da gab es eine Wohnung mit
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