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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Hintergrund, mit Theorie und Praxis des Marxismus beschäftigt.
    Klaus und seine Kollegen bezogen im Gebäude der Sicherungsgruppe Bonn eine Zimmerflucht von Büros und erhielten drei große Kartons mit Akten, vorwiegend aus Berlin – von der Politischen Abteilung der Polizei, dem »Staatsschutz«.
    Zunächst wollte Alfred Klaus für sich und seine Behörde herausfinden, was das eigentlich für Leute waren, die das ganze Jahr 1970 für Schlagzeilen gesorgt hatten, und er wollte wissen, welche politischen Ziele und Absichten hinter ihren Aktionen steckten. Am 1 . Februar 1971 begann er seine Arbeit und filterte aus den Berliner Dossiers heraus, was er an Erkenntnissen über den »Baader-Meinhof-Komplex«, wie es bald amtsintern unbeabsichtigt doppeldeutig hieß, fand.
    Am 19 . Februar war sein »Vorbericht« fertig. Auf 61  Seiten schilderte er die Vorgeschichte, angefangen vom Prozeß gegen die Kaufhausbrandstifter bis zu den Banküberfällen in Kassel.
    In einem eigenen Kapitel skizzierte er den »ideologischen Hintergrund«: »Die Beweggründe für das strafbare Tun der Täter und die von ihnen verfolgten revolutionären Ziele haben ihren Ursprung in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre, die durch die antiautoritäre Studentenbewegung und andere Kräfte der außerparlamentarischen Opposition ausgelöst wurden.«
    Alfred Klaus hatte sich durch ganze Stapel von Büchern, Zeitschriften, Flugblättern und Broschüren gearbeitet. Er war der Ansicht, die Polizei könne nur Erfolg haben, wenn die Fahndungsbeamten sich in die Denkweise der von ihnen Verfolgten einfühlten.
    Der BKA -Beamte zitierte zur Schulung seiner Kollegen aus einem in der Wohnung des Psychologie-Professors Peter Brückner gefundenen Manifest mit dem Titel: »Den bewaffneten Widerstand organisieren, die Klassenkämpfe entfalten, die rote Armee aufbauen«.
    »Die meisten intellektuellen Linken haben ihren Marx und Mao inzwischen auf den Kopf gestellt. Um ihr bißchen privilegiertes Sein nicht in Frage stellen zu müssen, ihren Trödelkram und bunt bemalte Küchenmöbel, greifen sie – wie die Springerpresse – nach psychoanalytischen Interpretationsmustern zur Erklärung revolutionärer Entschlossenheit …«
    Als Alfred Klaus diese Sätze in seinem Vorermittlungsbericht zitierte, wußte er noch nicht, von wem sie stammten. Später, als er sich über Jahre mit den RAF -Schriften befaßte, entwickelte er ein sicheres Gespür für die Ausdrucksweise der einzelnen Gruppenmitglieder – vor allem für Ulrike Meinhofs Diktion. »Trödelkram« und »bunt bemalte Küchenmöbel« etwa als Reminiszenzen aus ihrer bürgerlichen Vergangenheit.
    Dann gab Alfred Klaus einen Überblick über die bisherigen Aktivitäten der Gruppe. Von Mai 1970 bis zum Januar 1971 waren dies: die Baader-Befreiung, Banküberfälle in Berlin und Kassel, Einbrüche in Paßämter, Autodiebstähle und das betrügerische Anmieten von Leihwagen. Tote hatte es bis dahin nicht gegeben. Zwölf Beschuldigte waren in Untersuchungshaft, gegen acht weitere flüchtige Gruppenmitglieder waren Haftbefehle ergangen.
    Über viele Jahre blieb es das Spezialgebiet des BKA -Beamten Klaus, den persönlichen und politischen Hintergrund der RAF -Mitglieder auszuleuchten. Im April 1971 machte er eine Rundreise durch die Bundesrepublik und besuchte die Angehörigen. Er sprach mit Andreas Baaders Mutter, mit den Eltern von Gudrun Ensslin, mit Ulrike Meinhofs Pflegemutter Renate Riemeck, mit den Vätern von Astrid Proll und Holger Meins und mit Manfred Grashofs Eltern. Er wollte wissen, mit welcher Art von Persönlichkeiten es die Polizei zu tun hatte, nicht, weil er glaubte, die Angehörigen würden ihre Kinder verraten, sondern in der vagen Hoffnung, sie würden bei einer eventuellen Kontaktaufnahme auf ihre Kinder einwirken, »mit dem Unfug aufzuhören«.
    Alfred Klaus wurde fast überall freundlich empfangen. Mit Baaders Mutter und Großmutter trank er eine Flasche Rotwein und erfuhr so manches über »Andis« Entwicklung. Er legte Aktenvermerke über die Gespräche an. Diese Berichte wurden später Grundlage der beim BKA geführten Personenakten, im Behördenjargon Personagramme genannt.
    Alfred Klaus galt im Amt bald als Spezialist für persönliche und politische Hintergründe der RAF -Aktivitäten. Er hielt Vorträge, versuchte Polizeibeamte, für die Baader-Meinhof-Leute nichts als einfache Kriminelle waren, über deren Motive und Denkstrukturen aufzuklären. Er selbst

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