Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Rauschgiftszene, machte einen Selbstmordversuch und beschloß, Kunstmaler zu werden. Als auch das nicht so recht klappen wollte, besann er sich auf seine inzwischen erfolgte Politisierung und begann, in einem Betrieb zu arbeiten, um dort an der Basis zu agitieren. In einer sozialistischen Arbeiter- und Lehrlingsgruppe, der SALG , erhielt er erste marxistische Grundkenntnisse.
Gerhard Müller litt zu dieser Zeit unter Allergien, für deren Ursache die Ärzte der Heidelberger Universitätsklinik keinerlei Erklärung hatten. In seiner Not wandte sich Müller an den Initiator und Leiter des SPK , Wolfgang Huber. Bei dieser ersten »Konsultation« sagte Huber: »Im Kapitalismus gibt es keine Heilung. Deshalb muß zuerst der Kapitalismus abgeschafft werden.« Müller behielt seine Allergie, wurde aber Mitglied im »Sozialistischen Patientenkollektiv«, über das er, wie viele andere SPK -Mitglieder auch, den Weg in die RAF fand.
Bei jenem Kontaktgespräch im Frühjahr 1971 in Heidelberg traf Müller zum ersten Mal auf Baader und Ensslin. Andreas Baader behauptete, die RAF sei inzwischen einen Schritt weiter als das SPK , man habe begonnen, konsequent Theorie in Praxis umzusetzen. Müller war beeindruckt von Baaders Auftreten. Er wirkte ruhig, bestimmt und selbstbewußt. Gerhard Müller wurde Mitglied der RAF . Von 1971 an folgte ihm etwa ein Dutzend Leute aus dem Umfeld des »Sozialistischen Patientenkollektivs«, ein Großteil der sogenannten zweiten Generation der RAF : Elisabeth von Dyck, Knut Folkerts, Ralf Baptist Friedrich, Siegfried Hausner, Sieglinde Hofmann, Klaus Jünschke, Bernhard Rössner, Carmen Roll, Margrit Schiller, Lutz Taufer und andere.
Während einige SPK -Mitglieder schon in der RAF waren, wähnten sich andere noch in einem gesellschaftlich orientierten Selbsthilfeprojekt psychisch Labiler.
Einer von ihnen war Klaus Jünschke, Jahrgang 1947 , Psychologie-Student aus Mannheim, Sohn eines Bundesbahnbeamten. Er war zum SPK gestoßen, als es schon unter massivem Beschuß von seiten der Universitätsverwaltung und des Kultusministeriums stand. Während eines Teach-ins hatte er Wolfgang Huber sagen hören: »Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man holt sich Nierensteine, oder man schmeißt Steine in die Zentren des Kapitals. Hütet euch vor Nierensteinen!« Die Zuhörer im Saal tobten vor Begeisterung. Sich zu wehren, sich nicht mehr vom System kaputtmachen lassen, das entsprach einer Haltung, die viele nachvollziehen konnten.
In den Räumen des SPK lief immer wieder die Platte der Berliner Gruppe »Ton, Steine, Scherben«: »Macht kaputt, was euch kaputtmacht …« »In dieser Gesellschaft«, sagte Huber, »sind wir alle krank.«
Wissenschaftliche Begründungen für diese Theorie glaubten sie in den Büchern des englischen Psychiaters Ronald D. Laing zu finden oder in der Veröffentlichung des Italieners Franco Basaglia, der die psychiatrische Klinik in Triest aufgelöst und die Patienten in die Gesellschaft, in die Freiheit entlassen hatte.
Ein Mädchen, SPK -Mitglied, wurde von einem Polizisten angehalten, als es bei Rot über die Straße ging. Das Mädchen brüllte ihn hysterisch nieder. Daraufhin wurde es festgenommen und in die psychiatrische Klinik Wiesloch eingeliefert. Als die Nachricht davon im SPK eintraf, waren alle überzeugt, daß ein solches Schicksal auch ihnen blühen würde. Sobald der geschützte Freiraum des SPK von den Behörden aufgeknackt sei, würden sie alle in der geschlossenen Abteilung landen. So dachten sie, und sie betrachteten sich alle als Patienten.
»Jeder ist Patient«, sagte Huber, »vom Arbeiter bis zum Unternehmer.«
Als eines Tages vor dem Fenster der SPK -Räume Bauern mit ihren Traktoren demonstrierten, rief einer: »Wir sind alle Bauern!« Sie identifizierten sich mit allen Unterdrückten, Kranken und Entrechteten. Natürlich besonders mit denen, die einen revolutionären Ansatz hatten. Den Schwarzen in Amerika zum Beispiel. Als die Black Panthers in schwarzer Kluft mit Gewehren vor ihrem Hauptquartier Posten bezogen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, daß sie sich gegen die Macht der »Pigs«, der Schweine, der Polizei, zur Wehr setzen würden, da schafften sich SPK -Mitglieder auch Gewehre an, Kleinkalibergewehre. Und Klaus Jünschke und seine Freundin Elisabeth von Dyck wollten nach Black-Power-Art vor dem SPK Posten beziehen. Sie taten es nicht, statt dessen dachten sie mehr und mehr daran, in den Untergrund zu gehen – wie Baader, Meinhof
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