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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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und Ensslin.
    »Mahler, Meinhof, Baader, das sind unsere Kader«, riefen sie, erst leise, dann lauter. Und natürlich mobilisierten sie damit die Sonderkommission der Polizei, und jede Haussuchung und jede Festnahme trieb sie weiter an die Seite der Baader-Meinhof-Leute.
    Ihr Alltag nahm immer stärker konspirative Züge an, zunächst eher spielerisch, später ganz ernst. Im Sommer gingen sie noch gemeinsam zum Schwimmen, am Samstagmorgen fuhren sie regelmäßig aufs Land, in die großen Wälder am Rande der Bergstraße. Sie stahlen Gemüse, das sie anschließend gemeinsam im SPK kochten. Aber dieser Spaß wechselte mit ausgeprägtem Verfolgungswahn, mit Depression und Angst. Im April 1971 stürzte sich ein junges Mädchen von einem Turm im Wald. In ihrem Abschiedsbrief hatte sie geschrieben, mit Marx und Lenin käme sie nicht zurecht. Sie hatte eine lange psychiatrische Karriere hinter sich, war im SPK über einen längeren Zeitraum stabilisiert worden. Aber dann hatte es den Druck von außen gegeben, die Kündigung der SPK -Räume, die Kampagne in den Zeitungen. Und die Nervosität hatte sich auf alle übertragen. Und da war sie gesprungen.
    Für Huber und die anderen im Kollektiv war klar, daß die Universitätsverwaltung und das Kultusministerium verantwortlich waren für den Selbstmord des Mädchens. Das war aus ihrer Sicht nur konsequent, denn sie machten den Staat und die Gesellschaft verantwortlich für den psychischen Zusammenbruch jedes einzelnen.
    Auch auf der anderen Seite war man mit Schuldzuweisungen nicht zimperlich. In einem polizeilichen Ermittlungsbericht über das SPK heißt es: »Es ist nicht auszuschließen, daß die erheblich psychisch kranke Marlies L. bewußt zum Selbstmord getrieben wurde, um dadurch auf die Suizidgefährdung der Patienten des SPK hinzuweisen.«
     
    Eines Nachts wurde eine Polizeirazzia erwartet, und die Mitglieder verbarrikadierten sich in den Räumen des SPK . Einige hatten Flaschen mit Benzin besorgt. So saßen sie in der Wohnung und warteten auf die Polizei. Wer gehen wolle, könne gehen, hatte Huber gesagt. Er wollte prüfen, wieweit jeder bereit war, sich zu verteidigen. Einige SPK -Mitglieder standen auf und verließen die Wohnung. Unter ihnen war Klaus Jünschke. Als er auf der Straße stand, schämte er sich so, wie er sich noch nie geschämt hatte. »Entweder es war richtig, was wir bis jetzt gemacht haben«, dachte er, »dann muß man bereit sein, bis zum Äußersten zu gehen. Oder es war alles falsch.« Schlagartig hatte er erkannt, daß diejenigen geblieben waren, die sich voll für die Sache des SPK einsetzten, die nicht im Hinterkopf das Studium und die bürgerliche Existenz hatten.
    Als er zu Hause in Mannheim ankam, war er zu allem bereit. Er hängte sich ans Telefon, rief im SPK an. »Wir brauchen dich jetzt nicht, morgen früh kannst du kommen«, lautete die kühle Antwort. Am nächsten Morgen stürzte sich Klaus Jünschke wieder in die SPK -Arbeit. Auch wenn die Polizei in dieser Nacht nicht gekommen war, keine Molotowcocktails gegen Beamte geschleudert worden waren, den Schritt über die Grenze hatte er vollzogen.
    Ende Juni 1971 , gegen drei Uhr morgens, gerieten SPK -Mitglieder in eine Verkehrskontrolle. Sie wiesen sich mit gefälschten Papieren aus und konnten entkommen. Die Polizei setzte nach und wurde bei einer wilden Verfolgungsjagd beschossen. Einer der Beamten erlitt einen Schulterdurchschuß. »Baader-Meinhof in Heidelberg?« fragten die Zeitungen in Riesenschlagzeilen. Wenig später sagte ein Mitglied des SPK vor der Polizei aus, schilderte Struktur und Strategie des Patientenkollektivs, nannte Namen und Adressen. Daraufhin erschien die Polizei in dem Heidelberger Quartier. Klaus Jünschke lag angezogen auf einem Bett. Die mit Maschinenpistolen bewaffneten Beamten stürmten das Haus. Alle bis auf Jünschke wurden festgenommen. Seinen Namen hatte ein Jurastudent, der bei der Polizei über das SPK ausgesagt hatte, nicht gekannt. Wohnungen wurden durchsucht, Waffen und Munition gefunden. Die Polizei kam zu dem Ergebnis: »Aufgrund des bisher bekanntgewordenen Sachverhalts kann davon ausgegangen werden, daß die genannten Personen ein bestimmtes hochverräterisches Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland vorbereitet haben.« Huber und seine Frau wurden festgenommen. Obwohl sie Zeit dazu gehabt hätten, waren sie nicht untergetaucht. Andere SPK -Genossen, die sich vor der Polizei verstecken konnten, schlossen sich der RAF an. Huber hatte

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