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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Kontakt mit ihnen für sie bedeuten könnte.
    Margrit Schiller fühlte sich schüchtern und trotzig zugleich: »Wenn ich euch meine Wohnung gebe, will ich wissen, worauf ich mich einlasse.«
    Margrit Schiller wurde aus dem Zimmer geschickt. Nach kurzer Beratung durfte sie wieder hereinkommen.
    »Wir sind einverstanden. Aber die Bedingung ist, daß du immer dann verschwindest, wenn wir über Dinge reden, die dich nichts angehen.« Jeder von ihnen habe einen Decknamen, das müsse reichen. »Wichtig ist, was einer tut, nicht wie er heißt und wo er herkommt. Wir kommen alle aus derselben Mülltonne, deshalb haben wir uns entschlossen zu kämpfen. Aber nicht der einzelne ist von Bedeutung, sondern die Gruppe. Unser persönliches Leben ist mit der Entscheidung für den Kampf in der Illegalität zur Funktion für diesen Kampf geworden. Was vorher war, zählt nicht mehr.«
    Bis zum Juni 1971 tauchten die vier und Holger Meins regelmäßig in Margrit Schillers kleiner Kellerwohnung auf, um zu lesen, technische Zeichnungen und Stadtpläne zu studieren. Manchmal wollten sie sich auch nur entspannen, Musik hören, gemeinsam kochen. Gelegentlich rauchte man Haschisch, selten wurde Alkohol getrunken. Zwischendurch wurde nach Margrit Schillers Erinnerungen viel gescherzt und gelacht: »Zum Beispiel darüber, daß Ulrike, die ihr Leben vorher vor allem an der Schreibmaschine zugebracht hatte, jetzt diejenige war, die am schnellsten und geschicktesten Autos knacken konnte.«
    Alle lasen Donald-Duck-Hefte und konnten sich wie Kinder darüber amüsieren. Die politischen Diskussionen, der Umgang mit Waffen, alles war für Margrit Schiller neu, aber »das starke Miteinander« zog sie magisch an: »Sie schienen ein gemeinsames Feeling, eine Wellenlänge, fast einen gemeinsamen Kopf zu haben.« Margrit Schiller wußte nie, wann jemand aus der Gruppe bei ihr auftauchen würde. Sie hatten sich keinen Schlüssel geben lassen, damit die Wohnung im Falle einer Verhaftung nicht hochgehen könnte. Margrit hatte in der Zwischenzeit den Kontakt zu ihren früheren Freunden eingeschränkt. Besonders schwer fiel ihr das bei ihrer Freundin Gabi. Gudrun Ensslin schien das zu merken und sprach sie eines Tages an: »Seid ihr auch zärtlich miteinander, ich meine, körperlich?« Verwirrt und zögernd nickte Margrit Schiller.
    Daraufhin erzählte Gudrun ihr, daß es auch unter den RAF -Genossinnen lesbische Beziehungen gebe und daß dies für alle in Ordnung sei. »Mit der Studentenrevolte und der ersten Selbstorganisation der Frauen sei auch der Versuch zu einem anderen Leben mit neuen Werten und Vorstellungen entstanden.« Margrit war erstaunt über die Offenheit. Ihr fiel ein, wie die Zeitungen (»Bild« voran) über die Frauen der RAF geschrieben hatten: »Sie seien verrückt gewordene Mannweiber, autoritär, waffengeil, lesbisch, hart, gefühllos und Andreas hörig.« Margrit fragte Ulrike und Gudrun, warum der Haß gerade auf die Frauen so groß sei.
    »Wenn Frauen aufstehen und konsequent kämpfen, reißt das dem System den Boden unter den Füßen weg«, war die Antwort. »Frauen sind die Basis unserer Reproduktion. Frauen sollen passiv, fügsam, verfügbar und ausgleichend sein. Frauen, die ausbrechen, sich verweigern, sogar eine Waffe in die Hand nehmen: Das darf es nicht geben. Deshalb hassen sie uns.«
    Margrit Schiller hatte nur eine vage Vorstellung davon, was ihre neuen Freunde außerhalb ihrer Wohnungen machten, um den revolutionären Kampf voranzutreiben, von ihrem Ziel »einer anderen, gerechteren Gesellschaft, die nur mit illegalen Methoden zu erkämpfen sei«. Dazu mußten eben Banken überfallen, Autos geklaut und eine geheime Infrastruktur von Wohnungen eingerichtet werden. Margrit Schiller erklärte sich bereit, in einer anderen Stadt eine Wohnung für die Gruppe anzumieten. Während sie sich mit der Bahn auf den Weg nach Hamburg machte, blieben Gudrun und Andreas in ihrer Wohnung, um sich um Margrits Hund zu kümmern: »Das fanden sie gar nicht gut, aber was sollte ich sonst mit ihm machen?«
     
    Es war Anfang März 1971 , als Holger Meins sie am Bahnhof abholte. Sie quartierte sich in einem kleinen Hotel ein und begann, gemeinsam mit Meins, Wohnungsanzeigen zu studieren. Holger gab vor, wonach zu suchen war, einer Wohnung in einem großen Hochhaus: »Hier könnten Andreas und Ulrike ohne Schminke im Aufzug neben dem Fahndungsplakat stehen, ohne daß sie jemand erkennt. Jeder denkt nur an den Streß auf der Arbeit oder mit der Alten

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