Der Babylon Code
vorher das männliche Geschlecht der Säugetiere über die Temperatur bestimmt worden, wie es heute noch bei den Karettschildkröten oder den Mississippi-Alligatoren geschieht.« Jasmin war auch aufgestanden und stand mit verschränkten Armen vor der Finanzchefin. »Oder über soziale Signale wie beim Blaukopf-Lippfisch, bei dem das
größte Weibchen des Harems sich innerhalb einer Woche zum männlichen Exemplar wandelt und neuer Chef des Harems wird, wenn der Mann stirbt oder als Futter endet.«
»Jedenfalls gibt es unzählige Beispiele in der Tierwelt, die ihr Geschlecht anders bestimmen als über die Chromosomen«, murmelte Snider selbstzufrieden und bewunderte seine gute Laune. »Wenn man schon männlich ist, sollte man Vogel, Reptil oder Schmetterling sein. Dort tragen die Weibchen XY und bestimmen das Geschlecht.«
»Was meinen Sie damit?« Die Finanzchefin sah Snider böse an.
»Die Frauen buttern uns Männer unter«, knurrte Snider scheinbar mürrisch. »Wir geben uns für die schwere Aufgabe der Geschlechtsbestimmung her und werden dafür bestraft. Unser Y-Chromosom, das haben Sie ja vorhin gehört, befindet sich in einem mitleiderregenden Zustand. Nachdem es einmal durch irgendeine kleine Mutation die Rolle der Geschlechterbestimmung übernommen hat, verkümmert es nun.«
»Mir kommen die Tränen!«
»Früher haben sich X-und Y-Chromosom beim Zusammengehen der Keimzellen, also bei der Entstehung neuen Lebens, ausgetauscht, da sie über viele identische DNA-Abschnitte verfügten. Doch mit der neuen Aufgabe der Geschlechterbestimmung durch das Y-Chromosom kam es zu einem Auseinanderdriftender DNA mit der Folge, dass mit jeder Weiterentwicklung die Gemeinsamkeiten schwanden und immer weniger DNA-Abschnitte übereinstimmten.
Dies hat wiederum zur Folge, dass die nicht mehr kompatiblen Abschnitte des Y-Chromosoms bei der Entstehung neuen Lebens nicht länger an der Rekombination mit den X-Chromosomen teilnehmen können. So wurde ein Gen nach dem anderen auf dem Y-Chromosom im Laufe der Evolution zum Schweigen gebracht.«
»Ein an sich schönes Szenario«, warf Zoe Purcell giftig ein.
»Heute stimmten nur noch fünf Prozent der DNA der Geschlechterchromosomen überein und rekombinieren sich während der Entstehung von neuem Leben. Dagegen können sich die beiden X-Chromosome der Frau vollständig austauschen. Das Y-Chromosom ist davon weitestgehend ausgeschlossen. Der Mann, ein aussterbendes Exemplar.« Snider beendete seine Erklärung mit einem bitteren Lachen.
»Dafür kann sich das Y-Chromosom reparieren«, knurrte Ned Baker.
»Einzelne Abschnitte des Y-Chromosoms sind dazu tatsächlich in der Lage. Das bezieht sich aber leider nur auf bereits vorhandene Informationen, die wieder hergestellt werden. Es werden aber keine neuen Informationen zur Verfügung gestellt. Und darin liegt das Problem bei sich verändernden Umweltbedingungen.«
»Schön. Wir Frauen haben zwei gleiche Geschlechtschromosomen, die zusammenhalten, und die Männer eines, das verkümmert. Die Natur wird wissen, was sie tut.« Zoe Purcell lachte böse.
»Von den beiden weiblichen X-Chromosomen ist aber nur eines aktiv«, mischte sich Jasmin ein. »Das andere wird gleich zu Beginn abgeschaltet. Unwiderruflich abgeschaltet!«
»Auch gut.« Zoe Purcell starrte genervt zu ihrem Berater. »Ned, wie geht es weiter?«
»So richtig werden wir hier nicht weiterkommen.« Baker sah nachdenklich in die Runde. »Um das Chromosom genauer untersuchen zu können, müssen wir schneller sein, mehr Ressourcen einsetzen. Das hier ist nur ein kleines Labor. In Boston hätten wir viel größere Kapazitäten…«
Zoe Purcell nickte. Baker bestätigte, was sie die ganze Zeit vermutet hatte. Sie dachte an die Worte des Chairman in Vilcabamba. Vielleicht hatte sie den Diamanten gefunden, um Folsom auszubooten. Sie musste mehr wissen, ohne dass Folsom Wind davon bekam. Dann aber war Bostonder falsche Ort. Am Unternehmenssitz würde er sofort alles erfahren. Sie war insgeheim zufrieden, dass sie vorausschauend bereits die andere Möglichkeit vorbereitet hatte.
»Nein. Wir fliegen nach Sophia Antipolis. Wir machen uns sofort auf den Weg. Sullivan hat schon alles organisiert.«
Jasmin drehte sich um und marschierte zur Tür.
»Wo wollen Sie hin?«, rief die Finanzchefin ihr hinterher.
»Nach Hause – was sonst?«
Zoe Purcell lachte abfällig. »Sie haben noch nicht begriffen, was hier los ist, was?«
»Nein, woher auch. Ich weiß nicht, was Sie von
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