Der Babylon Code
in das Anwesen hinein, aber wir kommen längst nicht bis zum Haupthaus.« Santerre erinnerte sich an seine eigene Analyse in der Lagebesprechung, die nun ihr Handeln bestimmte.
»Wie sieht es an der Einfahrt aus?«, fragte Cambray in sein Mikro.
»Es kommen immer wieder Gäste. Gerade jetzt fährt ein Wagen rein. Die Bude wird langsam voll.«
Der Chefinspektor sah hinauf zum Dach, wo seine beiden Männer warteten. Cambray hob zur Bestätigung den Daumen der rechten Hand.
Lavalle hatte ausgesagt, das Gelände würde von streunenden Hunden bewacht. Sie hatten bei ihrer Überwachung bisher keine entdecken können und vermuteten, dies habe mit der Ankunft der Gäste für den kommenden Tag zu tun. Diese Chance wollten sie nutzen.
Cambray traute seinen Männern durchaus zu, mit den Hunden fertig zu werden. Santerre war seit zehn Jahren bei den Schwarzen Panthern und durch nichts aus der Ruhe zu bringen, seitdem er bei einer Gefängnisrevolte in Marseille, die zwei Wärtern das Leben gekostet hatte, als Austauschgeisel im Minutentakt seinen Tod vor Augen gehabt hatte. Allein zwei Scheinhinrichtungen hatte er in vier Tagen über sich ergehen lassen müssen.
Sein kantiges Gesicht mit den scharfen Linien wirkte auf die meisten Menschen furchteinflößend. Oft unterstellten andere ihm Brutalität, obwohl er in Wirklichkeit ein psychologisch versierter Unterhändler war, der kritische Situationen mit Geduld und Einfühlungsvermögen meisterte.
Victor Faivre war erst seit wenigen Monaten bei den Schwarzen Panthern und galt als eines der viel versprechenden Talente. Er war zehn Jahre jünger als Santerre, schlank und mit einer körperlichen Dynamik ausgestattet, wie Cambray sie selten gesehen hatte. Faivre war im Kampf Mann gegen Mann innerhalb der Schwarzen Panther bisher unbesiegt. Seine Haut war tief dunkel, und die schwarzen Augen glühten wie Kohlen, wenn er wütend war.
Faivre sprang zuerst über den Zaun und rollte sich elegant auf dem mit trockenem Laub bedeckten Boden ab. Sobald Santerre gesprungen war, segelten die beiden Rucksäcke hinterher. Der Waldboden verschluckte das dumpfe Geräusch des Aufpralls.
Sie schulterten ihre Rucksäcke und marschierten los. Santerre hatte den Plan des Anwesens im Kopf und steuerte genau Richtung Westen. Die Dämmerung würde in wenigen Minuten der nächtlichen Schwärze weichen. Sie wollten bis dahin so dicht wie möglich an das Haupthaus herankommen. Santerre begann zu laufen.
Das Anwesen war weitläufig und auch mit Kameras nur punktuell zu überwachen. Elektronische Fallen waren mit Sicherheit nur eingeschränkt einsatzfähig, weil es zu viel Kleinwild gab, das ständig Alarm auslösen würde.
Bleiben also nur Hunde, dachte Santerre. Mit Sicherheit würden sie in der Nacht frei herumlaufen. Bis dahin wollte er ein Versteck gefunden haben.
Sie eilten durch das Unterholz, schlichen abseits von Trampelpfaden über kleine Lichtungen, durch dorniges Gestrüpp und unter dichtem Blätterdach in Richtung Château. Nach knapp einem Kilometer sahen sie vor sich plötzlich eine freie Fläche, hinter der eine eingerüstete Kirche aufragte. Sie krochen in ein Gebüsch, und Santerre suchte mit seinem Feldstecher das Gelände ab. Unweit der Kirche stand ein alter Wasserturm. Nach Lavalles Aussage waren beide Gebäude unterirdisch miteinander verbunden.
»Was machen wir?«, fragte Victor Faivre, nachdem auch er durch den Feldstecher gesehen hatte. »In die Kirche?«
»Keine schlechte Lösung. Der Wasserturm wäre auch eine Möglichkeit. Oder ein Schuppen.«
»Wir müssen uns beeilen. Gleich ist es stockfinster.«
Santerre nickte. Rings um sie herum knackte und raschelte es. Mit der zunehmenden Dunkelheit kamen die undefinierbaren nächtlichen Geräusche des Waldes. »Wir nehmen die Kirche.«
Sie krochen aus dem Gebüsch und umrundeten das freie Feld im Schutz des Waldrandes. Sie huschten von Stamm zu Stamm, nutzten die Deckung des Unterholzes. Immer nur einer bewegte sich vorwärts, während der andere mit der Waffe in der Hand den anderen sicherte.
Ihr Einbruchswerkzeug blieb ungenutzt. Das Kirchenportal war nicht verschlossen, und die Tür schwang ohne ein Knarren nach innen, als Santerre den Türriegel nach unten drückte.
Sie schlüpften ins Innere der Kirche, suchten den Aufgang zum Kirchturm und eilten die Steinstufen hinauf bis unter die Glocke.
Santerre zerrte sein Funkgerät aus dem Rucksack und setzte seine Meldung an Cambray ab. Victor Faivre stand unterdessen mit dem
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