Der Babylon Code
werde morgen mit Dr. Dufour reden. Er wird mir sagen, was los ist. Immerhin arbeiten wir in derselben Firma.« Jasmin zwang sich, ihre Schwester anzusehen. »Aber jetzt muss ich
wegen der anderen Sache dringend telefonieren. Du hast doch dein Handy dabei?«
Anna sah sie erstaunt an.
»Bitte… das ist eine ganz andere Angelegenheit… es ist wirklich wichtig! Hat mit einer Männergeschichte zu tun«, schob sie nach, als ihre Schwester sie immer noch zweifelnd ansah.
Anna drehte sich zur Seite und kramte das Handy aus ihrer Nachttischschublade.
Jasmin schaltete es an und wartete, bis der französische Dienst sich einschaltete. Dann wählte sie Chris’ Handynummer, die sie von dem Zettel ablas, den sie noch in Dresden instinktiv aus ihrem Notizbuch gerissen hatte, bevor ihr die Handtasche abgenommen worden war. Sie war froh, ihre alte Marotte beibehalten zu haben, wichtige Telefonnummern nicht nur im Handy abzuspeichern, sondern immer auch noch aufzuschreiben.
Er würde helfen! Er musste helfen!
Doch ihre Hoffnung schwand mit jedem Klingelton.
»Verdammt!«, zischte Jasmin und kämpfte mit den Tränen, als sich nur die Mailbox meldete.
Sie versuchte es noch einmal, dann sprach sie ihm auf Band.
Anna starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sie sprach recht gut deutsch, aber sie verstand einfach nicht, was ihre Schwester da wütend und erregt alles auf dem Band abließ. »Wenn er darauf nicht reagiert…«, fauchte Jasmin böse und schaltete das Handy aus. »Dann ist es eben zu Ende, bevor es angefangen hat.«
In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen, und Sullivan stampfte kalt lächelnd ins Zimmer.
Kapitel 32
Paris
Montag
Auf der Île de la Cité im Herzen von Paris herrscht seit Jahrhunderten die Gerichtsbarkeit, nachdem von der Römerzeit bis zum Hundertjährigen Krieg hier das politische Herz Frankreichs geschlagen hatte.
Eric-Michel Lavalle war nervös, als er durch das schmiedeeiserne Tor den Justizpalast am Boulevard du Palais betrat. Er hatte Fontainebleau am Sonntagabend mit den letzten von Marvin freigegebenen Druckfahnen für die Broschüre verlassen. Dass die Druckerei das ganze Wochenende gewartet hatte, jede Minute berechnen und zudem mit Zuschlägen für Sonderschichten belegen würde, hatte Marvin nicht interessiert. Der Chef der Druckerei hatte breit und zufrieden gegrinst, als Lavalle die Druckfahnen noch in der Nacht abgegeben hatte. Und wenn die Druckerei das Tausendfache des vereinbarten Preises verlangen würde – es interessierte Lavalle nicht mehr.
Er stand vor dem mächtigen Justizgebäude und zitterte bei dem Gedanken an die letzten Stunden in Fontainebleau. Schon auf der Rückfahrt war ihm klar geworden, wie weit er von dem entfernt war, was Henry Marvin da plante und tat.
Fast die ganze Nacht hatte er wach gelegen und schaudernd an seine bevorstehende Rückkehr gedacht.
»Ich hebe ihn für dich auf, Lavalle. Beweise, dass du ein wirklicher
Prätorianer
sein wirst.« Die Erinnerung an Marvins kalte Augen hatte ihn keinen Schlaf finden lassen.
Lavalle gab sich einen Ruck und betrat das Justizgebäude. Er
orientierte sich in der dorischen Säulenhalle und fragte schließlich am Empfang nach einem Ermittlungsrichter.
»Zivil-oder Strafsache?«
»Strafsache«, murmelte Lavalle zögerlich. Der Pförtner wies ihm den Weg, und er schritt durch endlose Gänge und betrat zuletzt das Zimmer des Ermittlungsrichters.
Maurice Alazard war klein, knochig und hundemüde, weil er den ganzen Sonntag die Akten in einem großen Korruptionsskandal durchgearbeitet hatte. Daher kam ihm der Besucher, der durch welchen Zufall auch immer an ihn verwiesen worden war, reichlich ungelegen.
Alazard ging in seinem Beruf auf und hatte den Ruf, sich auch nicht durch große Namen erschrecken zu lassen. Seine Besessenheit hatte seine Ehe zerstört, und da er zu geizig war, mehr Geld als nötig für sein Äußeres auszugeben, lief er seit Jahren in ungebügelten Hemden herum.
Der Ermittlungsrichter begrüßte Lavalle daher kühl und forderte ihn auf, vor dem Schreibtisch mit dem unübersehbaren Berg an Akten Platz zu nehmen.
»Wir sind hoffnungslos überfordert. Die Welt scheint nur noch aus Verbrechen zu bestehen – darum sieht es hier so aus«, sagte er gähnend.
Zunächst druckste Lavalle herum und verlangte absolute Geheimhaltung. Als er nach Alazards Zusage immer noch zögerte, stand Alazard schließlich hinter seinem Schreibtisch auf.
»Wenn Sie mir nicht glauben, kann ich Ihnen nicht
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