Der Babylon Code
etwas wie ein Super-Gau, und bisher hatte Forster noch niemals… Chris setzte sich wieder. Gehen konnte er immer noch.
»Ich kannte seit meiner Jugend nur eine Moral. Geld. Wie mein Vater und mein Großvater davor. Glauben Sie mir: Es ist schwer, andere Werte zu akzeptieren, wenn man sein Leben lang so festgefahren gedacht hat wie ich – und wenn man von dort kommt, wo ich herkomme.«
»Und wo kommen Sie her?«
»Aus dem Dreck, aus dem Abschaum. Können Sie sich das vorstellen?«
»Nein.«
»Ist aber so. Moralisch gesehen. Jedenfalls sehe ich das mittlerweile so.«
Erwartete der reiche Greis seine Absolution? Unmöglich. Chris war hier, um einen Transport durchzuführen. Aber es
schien, als gehöre beides zusammen. Hatte Forster nicht gesagt, er wolle Buße tun?
»Nun gut. Wenn Sie es erzählen wollen, dann tun Sie es. Ich mag es jedenfalls nicht, wenn Sie provozierende Spielchen mit mir treiben. Dann gehe ich besser.« Chris lehnte sich zurück, spürte das harte Holz der Lehne schmerzhaft im Rücken.
»Was glauben Sie, woher mein Geld kommt? Womit es angefangen hat?«
Chris zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ihm gefiel die ganze Richtung des Gespräches nicht. Er hatte deshalb auch keine Lust, über irgendetwas aus Forsters Leben zu spekulieren.
»Ich handele zwar mit Kunstgegenständen aller Art, aber ich habe ein ausgesprochenes Spezialgebiet. Kommen Sie. Dann verstehen Sie auch, warum ich hier keine Polizei haben will.«
Sie gingen aus dem Innenhof in das Foyer der Villa und dann die marmorne Treppe nach unten. Chris folgte Forster, der schleppend und mit Trippelschritten vorausging, sich mit der linken Hand am Geländer festhielt und mit der rechten seinen Krückstock umklammerte.
Im Untergeschoss flammten über Bewegungsmelder gesteuerte Lampen auf. Chris wusste sofort, wo sie waren. Er kannte den breiten Gang von den Monitorbildern in der letzten Nacht. Sie waren in dem Teil des Untergeschosses, den Ponti als Forsters »verbotene Zone«, bezeichnet hatte. Weiter vorn war die Tür, die der Dieb hatte aufbrechen wollen. Die Wände und die Decke waren mit dunklem Holz verkleidet, und Chris dachte trotz des Lichtes unvermittelt an einen riesigen Sarg.
Chris schüttelte den Gedanken ab und starrte auf die Wände, an denen großformatige Gemälde hingen. Alle hatten sie ein einziges Thema: mythologische Szenen vom Entstehen der Welt.
Chris blieb vor einem Gemälde stehen, das über und über mit Wasserfluten bedeckt war.
»Die Sintflut«, keuchte Forster schwer atmend. »Nach ihr begann alles neu. In fast allen Kulturen wird von ihr berichtet, und doch glaubt keiner so recht daran, dass es sie gab.«
»Beeindruckend«, sagte Chris etwas ratlos, der sich weder mit Mythologie noch mit Gemälden auskannte. Er kannte die Sintflut aus dem Alten Testament, die zur Strafe über die Menschen gekommen war. Aber mehr, als dass Noah je ein Paar von jeder Tierart gerettet haben sollte, fiel ihm dazu auch nicht mehr ein.
»Sind Sie gläubig?«, fragte er den Kunsthändler.
»Ich? Nein. Sie fragen wegen der Bilder?« Forster sah nicht einmal hin. »Meine Familie glaubt seit Generationen nicht mehr an Gott und das, was die Kirchen vermitteln. Gott ist meinem Großvater im Ersten Weltkrieg verloren gegangen. Ich berausche mich allein an dem Gedanken, diese Bilder zu besitzen, auch wenn sie hier verborgen sind.«
»Eine seltsame Art der Befriedigung…« Chris ging weiter.
»Wenn Sie wüssten…«
Ihr Weg endete vor einer getäfelten Holzwand. Nur eine goldene Klinke verriet, dass sie vor einer Tür standen.
Rechts neben der Tür hing ein Gemälde, auf demein Mann auf dem Rücken eines Adlers saß, vom Himmel zur Erde stürzte, in der rechten Hand einen kleinen grünen Zweig, während sich unten auf der Erde eine Schlange durch den Sand wand.
Chris starrte auf das Bild, aber Forsters keuchende Stimme lenkte ihn sofort wieder ab.
»Die müssen Sie aufziehen. Ich schaffe das nicht mehr.«
Chris packte die goldene Klinke und zog die Tür auf. Dahinter versperrte eine Tresortür aus silbrig glänzendem Stahl den Weg. Chris trat zur Seite, und Forster machte zwei Schritte nach vorn, bis er dicht vor dem Tastaturenfeld stand, das in Brusthöhe in die Stahltür eingelassen war. Forsters Atem beruhigte sich, und Pieptöne durchdrangen die Stille, als er die sechsstellige Kombination eingab. Er kicherte. »Als ob ich es
geahnt hätte. Erst vor zwei Tagen habe ich die Kombination geändert.«
»Wer kannte
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