Der Babylon Code

sie?«
    »Nur ich. Eigentlich. Aber – wer weiß schon…«
    Lautlos schwang die Tresortür nach innen in einen dunklen Raum, in dem Licht aufflammte.
    Forster stützte sich schwer auf seinen Krückstock und ging voran. Sie betraten einen mittelgroßen Raum, der mit seiner absoluten Stille auf Chris wie das Innere eines bedrohlichen Heiligtums wirkte. Die Wände waren mit blutrotem Tuch bespannt, und von der Decke drang Licht aus Strahlern, deren Kegel punktgenau auf mehrere Vitrinen gerichtet waren. Die Lichtsteuerung ließ die Vitrinen wie in gleißender Sonne stehend erscheinen, während der Rest des Raumes im Halbdunkeln lag.
    »Schauen Sie sich ruhig um.« Forster humpelte zu einer der Vitrinen und starrte versunken durch das Glas. »Alles Kostbarkeiten. Mein Vermächtnis und die Gegenstände meiner Buße.«
    Chris zögerte, den Raum zu betreten. Für einen Moment kam ihm der Gedanke, dass er damit den Fluss ohne Wiederkehr überqueren würde. Er schüttelte verwirrt den Kopf und ging dann auf die hell erleuchteten Vitrinen zu.
    In zwei Vitrinen lagen Tontäfelchen, daneben mehrere steinerne Rollsiegel. Eine weitere Vitrine enthielt drei winzige Reliefstücke. Eines stellte eine Opferszene nach, die beiden anderen zeigten Kampfszenen eines siegreichen Herrschers auf seinen Feldzügen. Die nächste Vitrine enthielt mehrere Statuetten und so etwas wie einen dicken tönernen Pflock. In der letzten Vitrine war der Boden mit Sand gefüllt. Chris stutzte, als er im Sand drei Knochen liegen sah.
    »Kommen Sie!« Forster klang ungeduldig. Er stand auf seinen Krückstock gestützt an einer der anderen Vitrinen.
    Chris trat neben den Kunsthändler, der die Vitrine öffnete und behutsam ein tönernes Täfelchen in die Hand nahm. Forster lächelte dabei selbstgefällig.
    Keilschrifttafeln, dachte Chris. Kleine Plättchen aus Ton, in die Zeichen geritzt waren. Diese Zeichen waren so alt, dass sie schon wieder modern erschienen. Chris verglich sie mit Piktogrammen, die heute wieder im Einsatz waren, um über bildliche Darstellungen einen Inhalt zu vermitteln. Natürlich war das stark vereinfacht gedacht, denn er wusste, dass sich hinter diesen Zeichen eine komplexe und vollständig ausgeprägte Schrift verbarg.
    »Dahinten«, knurrte der Kunsthändler.
    Chris sah sich suchend um, bis er den Sessel und den kleinen Tisch in der hinteren Ecke des Raumes bemerkte. Chris holte beides herbei und stellte es an der Stelle ab, auf die Forster deutete.
    Mit einem weiteren Nicken lenkte Forster sein Augenmerk auf ein kleines Regal, auf dem eine Lupe lag.
    Als Chris ihm die Lupe brachte, deutete Forster mit dem Zeigefinger zur Decke und dirigierte ihn, bis Chris den Schalter neben der Tür gefunden hatte und ein Strahler genau über dem Tisch helles Licht spendete.
    Schließlich wies Forster auf ein mit Tuch ausgeschlagenes Holztablett. Chris holte es aus dem Regal und stellte es auf den Tisch.
    Forster legte die kleine Tontafel auf dem Tablett ab und nahm eine weitere Tafel aus der Vitrine, die er ebenfalls auf das Tablett legte. Dann ließ er sich erleichtert in den Sessel sinken.
    Er griff nach der ersten Tontafel, drehte sie in seinen Händen, legte sie zurück, nahm die andere, betrachtete sie lange und nachdenklich.
    Die zweite Tafel schien Chris von der Oberflächenstruktur irgendwie poröser, sie sah angegriffener aus als die andere.
    Forster griff nach der Lupe und untersuchte zunächst die Ränder des Artefakts, dann einzelne Zeichen. »Mesopotamische Schrifttafeln. Für mich sind diese Täfelchen etwas ganz Besonderes. Der Beweis für die bedeutendste gesellschaftliche Revolution in der Geschichte der Menschheit. Die Erfindung der Schrift.« Er schnalzte mit der Zunge.
    »Das mag schon sein«, sagte Chris. »Ich könnte mir da aber noch ein paar andere Ereignisse vorstellen, die genauso bedeutsam sind. Etwa die Beherrschung des Feuers.«
    »Na ja…« Der Kunsthändler reagierte nicht weiter.
    Chris beobachtete das wechselnde Mienenspiel des Mannes. Mal zog er die Augenbrauen hoch, dann wieder öffnete er den Mund halb, spitzte die Lippen und summte eine Melodie.
    Schließlich legte er die Lupe auf den Tisch und sank ächzend zurück in das Polster.
    »Deswegen bin ich hier?«
    »Ja«, sagte Forster gelassen. »Ihren Gesten entnehme ich eine gewisse Gleichgültigkeit.«
    »Nun ja…« Chris zögerte und dachte daran, irgendwo einmal gelesen zu haben, dass es diese Täfelchen zu Tausenden gab und noch mehr nachgemachte, um den