Der Babylon Code
Dämmerlicht der Kapelle sah Dufour nichts als die markanten Umrisse des priesterlichen Schädels. Das Gesicht lag im Dunkeln. »Habe ich dir in deiner Jugend nicht Gottes Gebote beigebracht? Und hast du nicht gelobt, sie einzuhalten? Wie konnte der Teufel in dich fahren?«
Pater Hieronymus hatte ihn in der Jugend in Gottes Wegen unterrichtet und ihm die erste Beichte abgenommen. Selbst als er an den bischöflichen Sitz gerufen worden war, hatte der Pater ein Auge auf den jungen Dufour gehabt. Dann war Hieronymus nach Rom entsandt worden und der Kontakt weitgehend eingeschlafen.
»Der Teufel ist nicht in mich gefahren!«
»Widersprich mir nicht!«, brüllte Pater Hieronymus urplötzlich los. »Ich weiß das besser. Ich habe diesen jungen Mann auf seinem Weg zu Gott begleitet, während du mit deinem Chef Proben unter dem Mikroskop beobachtet hast. Hätte ich gewusst, wie jämmerlich ihr seid… Ihr habt mich missbraucht. Du hast mich missbraucht!«
Dufour senkte den Kopf und schwieg. Als er das Unvermeidliche erkannt hatte, hatte er den Pater um Hilfe gebeten: die Sakramente für einen Sterbenden.
Pater Hieronymus war vor etwa einem halben Jahr zurückgekehrt und hatte Zuflucht in dem Zisterzienserkloster mit den dreißig Mönchsbrüdern gefunden, das auf der dem Mittelmeer zugewandten Seite der Insel lag und dessen Vorläufer zu den ersten Klosterbauten überhaupt gehörte. Durch Zufall hatten sie sich vor drei Monaten in ihrem Heimatort Collobrières getroffen, und Dufour hatte den Priester seither einmal im Kloster besucht.
»Ich wollte Mike Gelfort nicht ohne den Segen der Kirche sterben lassen. Ein letzter Dienst…«
»Und wasist mit Gott? Warum erweist du ihm keinen Dienst? Warum hilfst du, die Gottlosigkeit in die Welt zu tragen? Warum versündigst du dich an Gottes Schöpfung?« Der Priester rief mit lauter Stimme in die Dunkelheit der Kapelle. »Jacques, glaubst du noch?«
»Aber ja.«
»Ich glaube dir nicht, Jacques. Ich glaube dir einfach nicht.« Ein tiefer Seufzer drang aus der Brust des Paters. »Jacques, ich habe lange Jahre in Rom gearbeitet und mich dort mit vielen Dingen beschäftigen müssen. Auch mit der Genetik. Jacques, du hast dich dem Teufel verschrieben!«
»Ich will helfen, erfinden, entdecken, erforschen, wissen, warum es so ist, wie es ist…«
»Lüge!«
»Die reine Wahrheit…«
»Nichts als Lüge!«
»Pater, bitte… Wir glauben, einen Weg gefunden zu haben, das Enzym Telomerase erfolgreich in der Leberregeneration einsetzen zu können.«
Der Mönch schaute ihn überrascht an.
»Telomerase?« Der Priester schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich richtig erinnere, ist das das Enzym, das die Telomeren an den Chromosomenenden wiederherstellt oder verlängert, wenn diese sich verkürzen.«
»Woher…?« Dufour brach ab, denn Hieronymus fiel ihm ins Wort.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich in Rom auch mit Genetik beschäftigen musste…« Und zwar intensiver, als du vielleicht vermuten wirst, brachte Hieronymus seinen Satz im Stillen zu Ende.
Dufour nickte. »Chromosomen haben an ihren Enden Telomeren. Das sind Wiederholungen von bestimmten Basenpaaren. Diese Enden sind die Stelle, wo die Duplizierung der Zellteilung beginnt. Sie schützen die Enden der Chromosomen wie Kappen,
damit diese sich bei der Zellteilung nicht mit anderen verkleben. Der Mensch hat mehrere tausend dieser Basenpaare an den Chromosomenenden, und zwar je nach Gewebeart unterschiedlich viele oder wenige. Bei jeder Zellteilung, also Zellerneuerung, verliert der Mensch ein paar dieser Basenpaare, und die Enden der Chromosomen verkürzen sich. Wenn diese Basenpaare am Ende der Chromosomen aufgebraucht sind, endet die Zellteilung.«
»Wessen Telomeren von Anfang an länger sind, lebt länger, denn dessen Zellen können sich häufiger teilen. Ich kenne diesen Stand der Wissenschaft.«
»Es gibt aber ein Enzym, das diese verkürzten Telomeren an den Enden der Chromosomen wieder verlängern oder die Verkürzung aufhalten kann. Telomerase. Dieses Enzym bewirkt, dass die Telomeren niemals den Punkt erreichen, wo sie so kurz sind, dass die Zellteilung gestoppt wird. Das Altern wird ausgeschaltet, die Zellen teilen sich weiter.«
»Das Unsterblichkeitsenzym«, knurrte Pater Hieronymus, der die wissenschaftlichen Untersuchungen aufmerksam verfolgt hatte. Als die ersten Berichte an die Öffentlichkeit gelangt waren, war Verunsicherung durch den Vatikan gekrochen wie die Schlange beim Sündenfall durch den
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