Der Babylon Code
den Stoff zurück. »Forster hat mir erklärt, man könne es an den Zeichen und dem Tonmaterial erkennen. Sie können das sicherlich auch.«
Die Professorin nickte.
»Sagen Sie mir, warum diese Dinger so wertvoll sind, und dann machen wir den Deal. Ich verschwinde, und Sie können sich ganz Ihrem Streit widmen. Ich habe andere Probleme.«
Wie zuvor untersuchte sie voller Konzentration die kleine Tontafel. Nach einer Weile zog sie ein Etui aus ihrer Handtasche, klappte es auf und entnahm ihm ein Vergrößerungsglas.
Vorgebeugt betrachtete sie minutenlang die in den Ton eingedrückten Schriftzeichen.
»Dies ist tatsächlich eine der alten Tafeln. Soweit ich das auf die Schnelle feststellen kann, stimmt der Text hier mit einer der von Forster übermittelten Übersetzungspassagen überein.«
»Welche?«, knurrte Brandau.
»Die Sintflut.«
»Die Sintflut?« Chris lachte amüsiert auf. »Darüber gibt es doch in fast allen Kulturen Berichte. Und im Schwarzen Meer sind sogar Beweise gefunden worden, dass sie stattgefunden hat. Irgendwelche überfluteten Dörfer tief unter dem Meeresspiegel. Was soll daran so bedeutungsvoll sein?«
»Auch in der Königsstadt Ur in Sumer hat man bei Ausgrabungen Beweise gefunden. Meterdicke Schlammschichten zwischen den Siedlungsschichten. Und mit einer passenden zeitlichen Datierung. Aber das hier ist mehr. Es ist die älteste Darstellung der Sintflut.« Sie fuhr sich mit den Händen durch das lange Haar, warf es schwungvoll nach hinten. »Älter als die Sintflutbeschreibung im Gilgamesch-Epos und älter noch als die Darstellung von Ziusudra, dem bisher ältesten Bericht.«
Chris überlegte. Er hatte nach seiner Rückkehr aus Dresden die zwei Tage in Köln genutzt, um mehr über die Ursprünge der Schrift, Mesopotamien und das zu erfahren, was er da transportieren sollte.
Dabei war er auch auf das Epos gestoßen, in dem die Abenteuer des Königs Gilgamesch geschildert wurden. Der König stammte aus Uruk, der ersten großen Königsstadt der Sumerer, und hatte sich auf die Suche nach dem ewigen Leben begeben, ohne es zu finden. In diesem Epos war die erste Beschreibung der Sintflut enthalten.
»Was oder wer ist Ziusudra?«, fragte Chris.
»Nach der Erzählung in der Bibel gibt Gott einem Menschen, nämlich Noach und damit der Menschheit, die Chance zu überleben. Und zwar aus der Gnade Gottes heraus.«
Der Priester unterbrach die Professorin. ». . .
So vernichtete der Herr alles Leben auf der Erde.
Kennen Sie das, Rizzi?« Er sah Chris ernst an. »Oder sind Sie Heide?
Gott segnete Noach und seine Söhne und sagte zu ihnen: ›Vermehrt euch und bevölkert die Erde… Ich schließ meinen Bund mit euch und euren Nachkommen… Ich verspreche euch: Ich will das Leben nicht ein zweites Mal vernichten… Diese Zusage, die ich euch und
allen lebenden Wesen mache, soll für alle Zeiten gelten.
‹ Die Bibel, Rizzi, die wahre Geschichte steht in der Bibel.«
Die Wissenschaftlerin sah den Priester an, wartete, bis dieser verstummte.
»Der sumerische Text über Ziusudra ist älter als das Gilgamesch-Epos, das lange als der älteste Bericht über die Sintflut galt. Und er sagt etwas ganz anderes: Dort haben die Götter geschworen, die Menschen zu vernichten, da sie mit ihrem Lärm ihre Ruhe stören. Die Menschen wurden denen lästig, die sie vorher aus Lehm erschaffen haben, um sie als Sklaven für sich schuften zu lassen. Und warum überleben die Menschen? Nicht, weil die Götter oder der Gott einen Bund eingehen, wie es die Bibel beschreibt. Nein. Sondern durch Verrat. Ein Gott namens Enki verrät einem Menschen namens Ziusudra:
›O Ziusudra, Bewohner von Surippak, / zerstöre dein Haus, / baue ein Schiff, verachte den Reichtum, verlasse die Götter, / erhalte das Leben.
Forster behauptet nun, seine Tafeln und sein Sintflutbericht wären noch älter als der von Ziusudra…‹«
Langsam verstand Chris das Interesse der Wissenschaftlerin. Für die Altertumsforscher war es eine Sensation, wenn noch ältere Zeugnisse auftauchten. Aber war das wirklich so sensationell, einen noch älteren Text gleichen oder ähnlichen Inhalts zu finden?
»Da muss doch mehr dahinter stecken…«
Ramona Söllner sah Chris lange an, ehe sie antwortete.
»Forster hat uns zwar nur Teile der Übersetzung zu lesen gegeben…«
»Ja und?«
». . . aber wenn das stimmt, was in der Übersetzung steht, dann…« Sie zögerte, setzte dann neu an. »Diese Tafeln sind von einem König, der nach der Sintflut lebte
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