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Der Babylon Code

Der Babylon Code

Titel: Der Babylon Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Schomburg
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Seine kirchliche Erziehung war protestantisch und hatte mit dem Konfirmationsunterricht geendet. Er hatte kirchlich geheiratet, ja, aber ansonsten Kirchen nur unter rein touristischen Aspekten betreten.
    »Mit den Ausgrabungen in Mesopotamien und Persien, die im Grunde im ersten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts richtig begannen und damals fast ausschließlich von Franzosen und Engländern durchgeführt wurden, kamen jahrtausendealte Schätze und Bauten früher Hochkulturen ans Licht. Und Tontafeln.« Die Professorin nickte in Richtung der kleinen Tafel auf dem Tisch.
    »Eine neue Wissenschaft etablierte sich: die Assyrologie, benannt nach den Assyrern, die das erste Großreich in dieser Region begründeten. Die Wissenschaft, mit der ich mich auch beschäftige. Als die Schrift entziffert war und die Texte übersetzt wurden, lag die Sensation auf dem Tisch.« Sie machte eine Pause und nippte an ihrem Wasser.
    »Wie sah die Sensation aus?«, fragte Chris.
    Der Priester setzte zu einer Antwort an, das Gesicht bitter verzogen. Die Wissenschaftlerin bedachte ihn mit einem kurzen Seitenblick und kam ihm zuvor.
    »Man identifizierte Völker und Orte des Alten Testaments und begann damit, den Wahrheitsgehalt der Bibel nachzuvollziehen. Man stellte Widersprüche fest, manchmal sogar tief greifende Widersprüche. Zweifel an der Bibel kamen auf. Eine bedeutsame Erkenntnis war, dass Passagen des Alten Testaments bereits viel früher literarisch festgehalten worden waren – eben auf solchen Tafeln.«
    »Die Bibel ist abgeschrieben?« Chris’ Augen funkelten amüsiert.
    »Genau das habe ich erwartet«, unterbrach Brandau sein Schweigen. »Die Bibel ist nicht abgeschrieben. Gott selbst ist
    Urheber der Bibel. Sie lehrt ohne Irrtum die Wahrheiten, die zu unserem Heil notwendig sind.«
    »Aber wenn doch…«
    »Wir Christen verehren das Alte Testament als wahres Wort Gottes. Wollen Sie am Kanon der Heiligen Schrift zweifeln?«
    »Nun ja«, sagte Söllner leicht zurechtweisend, »jedenfalls kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Das Bürgertum war an den Ausgrabungen interessiert, weil plötzlich die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Bibel im Raum stand. In Deutschland hat der Wissenschaftler Friedrich Delitzsch, der die Vorderasiatische Abteilung der Königlichen Museen leitete, dann erst recht einen Sturm entfacht, als er behauptete, die Bibel habe sich nicht nur literarisch, sondern auch religiös und ethisch aus babylonischen Vorläufern entwickelt. Er sprach dem Alten Testament sogar die Gottesoffenbarung ab.«
    »Verirrungen eines Einzelnen«, zischte Brandau erregt. »Ein dummer Angriff auf das Allerheiligste unseres Glaubens.«
    »Jedenfalls ist Delitzsch mit seinem Vortrag durch Europa und Amerika gereist und hat der Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Bibel kräftig Rückenwind gegeben. Er entfachte einen Sturm.«
    »Es hagelte sofort Kritik von allen Seiten. Zu Recht. Selbst Kaiser Wilhelm II. hat ihn zurechtgewiesen. Delitzsch!« Brandau machte eine wegwerfende Handbewegung.
    Chris spürte die Spannung, die sich zwischen der Wissenschaftlerin und dem Priester aufbaute. Söllner berichtete Fakten, Brandau erschlug sie sogleich mit Interpretationen.
    »Die Kirche wird durch solche Erkenntnisse in die Enge getrieben. Verstehe ich das so richtig?«, fragte Chris.
    Brandau lachte geringschätzig auf.
    »Da muss schon mehr kommen. Bisher hat unser Glaube diese unqualifizierten Angriffe allesamt überstanden.«
    »Gibt es denn mehr?«
    »Und ob«, nahm Söllner den Faden wieder auf. »Es gibt
    Kirchenkritiker, die sich streng wissenschaftlich genau mit diesem Thema beschäftigen und dem gefälschtem Glauben, wie sie sagen, die Maske herunterreißen wollen.«
    »Verirrte, die unter dem Postulat der Aufklärung das Göttliche besudeln wollen. Aber das wird ihnen nicht gelingen!«
    »Sie sollten nicht allen Wissenschaftlern immer nur schlechte Motive unterstellen«, wandte sich die Professorin plötzlich an ihren Begleiter. »Es bringt nichts, wenn wir hier einen Disput über Wissenschaft und Religion führen.«
    Die Spannung zwischen den beiden verwirrte Chris. Wo lagen die gemeinsamen Interessen an den Tontafeln, wenn sie hinsichtlich ihrer Bedeutung so unterschiedlicher Auffassung waren? Was spielte sich da im Hintergrund ab?
    Chris griff erneut in seinen Rucksack und holte ein weiteres Tontäfelchen hervor, wie das erste eingewickelt in zwei Baumwolltücher.
    »Das ist eine der ganz alten Tontafeln«, sagte er und schlug

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