Der Babylon Code
Straße.
»Rechts!«, schrie sie hinter ihm, als er an der nächsten Gabelung vor einem Wasserspiel stoppte. Sie rannte an ihm vorbei in die Gasse, riss im Laufen ihre Handtasche auf und wühlte darin, bis sie das Parkhausticket gefunden hatte.
An einer brusthohen und silbrig glänzenden Säule, die gut einen Meter von der Zugangstür zur Tiefgarage entfernt in der Gasse stand, hielt sie an.
Chris drückte gegen die Tür. Verschlossen.
Ramona Söllner zog den Parkschein mit zittrigen Fingern durch den Leseschlitz der Säule. Nichts geschah.
»Scheiße!«, schrie sie und wippte auf den Füßen. Der Verfolger rannte in vollem Tempo auf sie zu. Chris sprang von der Tür weg und stellte sich ihm in den Weg. Drei Schritte vor Chris sprang der Mann los und segelte mit den Beinen voran durch die Luft.
Chris tauchte zur Seite weg und rollte über die Schulter ab. Der Verfolger segelte an ihm vorbei und krachte auf das Pflaster. Chris war mit einem Satz bei ihm. Sein Fuß zuckte vor und traf die Kinnspitze des Gestürzten, der benommen liegen blieb.
Ramona Söllner zog erneut das Ticket durch das Lesegerät. Mit einem kaum hörbaren Geräusch entriegelte sich die Sperre an der Tür.
Sie schlüpften hindurch und eilten die Betonstufen hinunter. Hinter ihnen vibrierte das Glas unter den wütenden Schlägen des Verfolgers.
Chris parkte das SL Cabrio am Monbijouplatz, nicht allzu weit von der Tiefgarage entfernt. Er saß auf dem Fahrersitz und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf das Lenkrad. Die Anspannung lag ihm immer noch wie eine Eisenkugel im Bauch, aber er konnte wieder klar denken.
»Sie überzeugen mich einfach nicht. Ich habe mich nicht selbst verraten. Also bleiben nur Sie und der Priester.«
Chris hatte Schuhe und Socken ausgezogen. Die nassen Socken lagen auf Gebläseschlitzen und trockneten in der warmen Luft der voll aufgedrehten Heizung.
»Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Ich habe jedenfalls kein Interesse daran, Sie abzumurksen. Ich will die Tafeln!« Die Professorin rauchte eine Zigarette nach der anderen. Nur langsam ebbte ihr Muskelzittern ab.
Wieder erscholl Sirenengeheul. Immer noch jagten Polizei und Rettungswagen zum Schlachtfeld.
»Sind wir nicht zu dicht dran?« Sie zuckte bei jeder Sirene zusammen.
»Warum? Weiß jemand, welchen Wagen Sie fahren? Die haben jetzt anderes zu tun, als geparkte Fahrzeuge zu durchsuchen. Ein paar Minuten haben wir noch.«
Reden, jedes Detail hin und her wenden, die Geschichte immer wiederholen lassen, Abweichungen finden, um anzusetzen, neue Fäden aufzunehmen. Polizeiarbeit. Er schnaubte.
»Sie haben vorhin gesagt, es habe bereits einen Verkaufsversuch in den Zwanzigern gegeben, der gescheitert sei. Und irgendjemand habe die Kirche eingeschaltet. Erzählen Sie mir mehr davon.«
»Wir wissen nicht viel. Warum? Wie? Alles im Dunkeln. Wer mit wem… Die Textfragmente, die Forster uns vor etwa einem halben Jahr schickte, konnten wir teilweise identifizieren und nachvollziehen.«
»Wie das? Sie sagten doch, die Suche in den Archiven der Kirche sei erfolglos geblieben.«
»Richtig. Aber wir haben Fragmente einer Abschrift in einer bis dahin unbeachteten Kiste in den Museumsmagazinen gefunden.«
»Wie kann so etwas passieren?«
»Das wahre Leben und die deutsche Realität. Noch immer sind die Magazine des Museums mit unbearbeiteten Funden überfüllt – wie in allen Museen der Welt. Vieles schlummert in dunklen Kellerecken vor sich hin.« Sie machte eine kleine Pause. »Und es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu. Simon, der große Mäzen der Berliner Museen, war jüdischen Glaubens. Wir können von Glück sagen, dass nicht alles abtransportiert und vernichtet wurde in den unsäglichen Dramen der Dreißiger-und Vierzigerjahre. Aus irgendeinem Grund interessierte sich niemand für seine Hinterlassenschaft.«
Chris unterbrach sie mit einer Armbewegung und starrte auf einen alten und schmuddeligen Mann, der grinsend um den Wagen herumschlich und sie neugierig anstarrte. Der Mann strich mit seiner Hand über den rechten Kotflügel, um dann eine Faust zu ballen und mit Wucht auf das Blech zu dreschen. Dabei lachte er und humpelte dann davon.
»Mistkerl«, fluchte die Wissenschaftlerin.
»Lassen Sie ihn. Frust des Lebens! Und weiter?«
»Nach dem Krieg plünderten die Russen die Museen, Ende der Fünfziger folgte eine große Welle der Rückgabe – unter sozialistischen Brüdern. Aber zunächst konzentrierte man sich auf die wichtige Aufbauarbeit.
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