Der Bademeister: Roman (German Edition)
das Bad eröffnet wurde, kamen in einer Woche dreitausend Gäste. Es muss eine Täuschung sein: ein ganzes Schwimmbad kann man nicht einfach schließen. Ich bin erst achtundfünfzig Jahre alt. Zehn Jahre könnte ich ohne weiteres noch arbeiten. Einen zweiten Bademeister müsste man nicht einstellen. Dürfte ich die großen Lampen über dem Becken einschalten, wäre alles besser. Man sieht nicht gut im Halbdunkel. Ich gehe um das Becken, als müsste ich weiter darauf Acht geben, dass keiner ertrinkt. Von den Seiten springen streng verboten! Auf der Galerie und längs des Schwimmbeckens sehe ich sie. Sie bewegen sich hastig oder stehen ganz starr, ich kann sie nicht deutlich erkennen. Auf meine Rufe antworten sie nicht. Ich habe laut gerufen, weil ich dachte, dass ich mich täusche, dass sie nicht wirklich hier sind. Aber sie tauchen immer wieder auf, bewegen sich, als wären sie krank oder frören. Ich lasse mich nicht zum Narren halten. Sie müssen antworten! Entweder sie bemerken mich nicht, oder sie tun, als könnten sie mich nicht hören. Ich spreche laut genug. Es sind die Badegäste von früher, und jetzt bereue ich, dass ich ihre Namen nicht kenne. Hören Sie? Ich heiße Hugo.
Seit dieses Geräusch sich jederzeit wiederholen kann, ertrage ich die Stille nicht. Jeder Laut bedeutet weiteren Verfall. Bald wird sich keiner mehr daran erinnern, wie es vorher war. Zwei Schilder fehlen. Die Warnungen reichen nicht aus. Ich habe nie verstanden, warum die Leute schwimmen, aber ertrunken ist mir keiner. Jetzt stünde auf einem Schild geschrieben: Achtung! Wer schwimmt, ertrinkt! Niemand könnte prüfen, ob es stimmt. Gesicht der Leiter zugewandt! Eine der Leitern fehlt, und die anderen zwei reichen nicht mehr bis an den Boden. Das Becken, die ganze Halle sinkt tiefer ein, als wäre unter der Stadt ein leerer Raum, und die Uhr ist stehen geblieben.
Es ist so still. Früher hallte alles von Rufen und Geplansche wider, als wäre Wasser Grund zu jubeln. Ich habe das nie verstanden. Manchmal habe ich die Temperatur um drei oder vier Grad gesenkt. Die Erwachsenen zuckten dann zusammen, schauderten und schwammen stumm, während die Kinder nichts merkten und weiter lachten, weiter schrien. Tagtäglich Lärm und das Geplansche. Nie wollte ich Bademeister werden. Jetzt ist es still, ich sehe meine eigenen Füße in Turnschuhen, das leere Becken, ein Schwimmbecken ohne Wasser, ein Bademeister ohne Schwimmbad, und das ist schlimmer als ein Ertrunkener, es ist ein Unding wie die rußbefleckten Turnschuhe, mit denen ich keinen hereingelassen hätte, und häufig stolpere ich. Genau kann ich nicht sagen, wie viel Zeit vergangen ist. Man kann sie nicht mehr messen, so langsam zieht sie sich hin, und ein Tag ist so lang, dass man ihn nicht zu Ende denken kann, ist ebenso lang wie früher Wochen. Die Zeit staut sich zu Wasser, das keinen Abfluss findet, das ganze Becken ist schon voll. Die einfachsten Unterteilungen verschwimmen, nicht einmal die Kacheln lassen sich mehr zählen, eine schwarze Schmutzschicht bedeckt sie, Staub, der stellenweise feucht geworden ist, und nur die Löwenköpfe mit ihren Fratzen sind unverändert, im Maul vielleicht ein Mikrophon versteckt, vielleicht belauscht mich einer und wartet darauf, mich zu verraten. Ängstlich horche ich zur Tür hin, ob sie aufgeschlossen wird, Schritte sich nähern, ob einer kommt und mich vertreibt. Sie müssen das verhindern. Wenn ich weg muss, ist hier niemand mehr.
Drei Wochen bin ich durch die Stadt gelaufen. Wie viel Zeit vergangen ist, seit ich wieder hier bin, weiß ich nicht genau. Die Zeit verschiebt sich von einer Dämmerung in eine andere, es wird nicht richtig hell und auch nicht dunkel, weil von den Straßenlampen Licht hereinfällt. Die Tage gehen ineinander über, als wären sie ein einziger Tag, die Zeit nichts weiter als Verfall, Rost, der die Rohre und Eisenstangen zerfrisst, aus der Wand gefallene Brocken, der Staub, der eine trockene Schicht bildet oder feucht wird und schmierig. Ich heize die Öfen, aber der Kohlevorrat nähert sich dem Ende, und bald kann ich nichts mehr tun, um zu verhindern, dass die Rohre einfrieren und durchbrechen. Einen Heizer gibt es nicht mehr. Klaus ist mit den anderen gegangen, die Fische hat er hier gelassen. Manchmal denke ich, es war schon immer so, das Schwimmbad verödet, das Becken leer, und in der leeren Halle nichts als meine Stimme. Im Gang, der Eingangs- und Schwimmhalle verbindet, hängt immer noch der große Spiegel,
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