Der Bademeister: Roman (German Edition)
Gegenstand im Wasser hascht, schließlich den Kescher holt, um ihn gerade noch einzufangen, bevor er auf den Grund absinkt. Immer habe ich darauf geachtet, rechtzeitig herauszufischen, was ins Schwimmbad hineinfällt, bevor es sich mit Wasser vollsaugt, absinkt, sich womöglich auflöst, Schlieren absondert, dem Wasser schadet, das klar sein soll. Von der Qualität des Wassers hängt viel ab.
Jetzt ist das Becken leer. Anfangs habe ich versucht zu fegen. Aber der Staub wirbelt nur auf, und gleich hat sich wieder eine Schicht gebildet. An ein paar Stellen ist es feucht; dort haftet er als ein schwarzer Schmutzfilm, und weil das Licht so schwach ist, täuscht der Anblick. Das Becken sieht aus wie ein tiefer Schlund. Ich muss darauf achten, dass keiner hineinspringt, vom Rand oder vom Sprungbrett, denn er würde sich den Hals brechen und zu Tode kommen, ohne zu ertrinken. Ertrunken ist hier niemand, und es ist verboten, vom Beckenrand zu springen.
Es wäre ein großer Aufruhr. Geschrei und Hilferufe, ein Arzt, ein Krankenwagen. Auf einer Trage transportierte man den Ertrunkenen oder Beinahe-Ertrunkenen hinaus, verzweifelt liefe ich hin und her zwischen dem Toten oder in Lebensgefahr Schwebenden und dem Schwimmbecken, das nie ohne Aufsicht bleiben darf, forderte die noch schwimmenden Badegäste auf, umgehend das Becken zu verlassen, und lebenslang hätte ich mich fragen müssen, wie es geschehen konnte und warum ich es nicht verhindert habe. Immer habe ich mich bemüht, umsichtig zu sein, und es ist gelungen. Gleichmäßig, ohne Störung sind die Tage vergangen, nie musste ich laut schreien, weder zur Warnung noch um Hilfe, es hat genügt, die Stimme zu heben, allenfalls zu rufen, es hat genügt, laut und deutlich zu sprechen, um drohende Gefahr rechtzeitig abzuwenden, so dass ein Unglücksfall sich nie ereignet hat. Verstehen Sie: es hat sich nie etwas ereignet, ich habe meinen Ehrgeiz dareingelegt, dass mein Leben ereignislos verläuft, und man kann sagen, es ist gelungen.
Sie können mir nichts anhaben. Mein ganzes Leben lang war ich der Bademeister, und es ist nie etwas geschehen, die Tage sind vergangen, einer nach dem anderen, man ahnt dabei nichts Böses, ich habe mich darum bemüht, dass nichts geschieht.
Erst jetzt begreife ich, dass es umsonst war. Meine Entlas-sung hat es nicht verhindert, und ob etwas geschehen ist oder nicht, entscheiden andere. Solange keiner etwas sagt, ist auch nichts vorgefallen. Wissen Sie denn, was geschehen ist? Man hat das Schwimmbad geschlossen, erst die Schwimmhalle, dann auch die Wannenbäder. Als der letzte Liter Wasser abgelassen war, das Becken leer, die Badegäste schon drei Tage vorher vertrieben, lief ich durch die Straße auf dem Weg nach Hause und sah die Leute vorübergehen, als wäre nichts geschehen. Sie wissen es nicht, dachte ich, aber wenn sie es erfahren, werden sie dafür sorgen, dass man das Schwimmbad wieder öffnet.
Am nächsten Morgen empfing der Hausmeister mich grinsend: Viel Spaß bei den Wannenbädern.
Inzwischen bin ich endgültig entlassen, nicht einmal bei den Wannenbädern braucht man mich. Sie haben eine Regelung gefunden, sagte ich Cremer damals, als er mich fragte, was ich tun würde, nachdem das Wasser abgelassen sei. Dann ist ja alles gut, sagte er gleichgültig, und später bin ich nicht mehr beim Kiosk vorbeigegangen. Erst als ich Rat wegen meiner toten Mutter brauchte, habe ich ihm erzählt, dass ich entlassen bin.
Wenn etwas geschehen ist, muss man sich daran gewöhnen, und nicht viel später ist es schon so, als wäre nichts vorgefallen. Vor ein paar Jahren hat Cremer sich das Bein gebrochen, und seither humpelt er, weil das Bein schief zusammengewachsen ist. Keiner verliert darüber ein Wort, und man könnte denken, er sei so geboren. Es ist so, wie wenn ein Gegenstand ins Wasser fällt: eine kleine Weile sieht man auf dem Wasser Kreise, doch bald hat alles sich beruhigt, das Wasser liegt so ruhig da wie zuvor, und nur wer davon weiß, wird vielleicht einen Gegenstand auf dem Beckengrund bemerken. Und nicht einmal dann muss man ihn herausfischen, denn es genügt, zu schweigen.
Ich habe mich täuschen lassen. Man glaubt, dass etwas geschehen ist, aber das stimmt nicht. Wenn einer schwimmen geht, dann ertrinkt er nicht, oder aber er ertrinkt. Selbst wenn er beinahe stirbt, so ist er nicht gestorben, und alles geht seinen Gang. Wer da ist und die Gefahr sieht, schrickt zusammen, und gleich ist er wieder ruhig. Immer ist alles nach
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