Der Bademeister: Roman (German Edition)
auflauern. Man kann ihnen nicht trauen. Von ihrem Büro aus konnte Frau Karpfe den Eingangsbereich mittels eines Spiegels überwachen, und sie fand Gründe, abzuweisen, wen sie abweisen wollte. Dabei steht das Volksbad allen offen, und sie hatte kein Recht dazu. Wenn ihr ein Auftrag einfiel, rief sie laut und ungeduldig, und wen sie etwas fragte, den fragte sie aus, Sie hat ein Verhältnis mit ihm, sagte Klaus, und der Hausmeister ist ein Spitzel. Manchmal verschanzte sie sich im Büro, schloss die Tür ab und sprach kein Wort. Dann wieder kamen Leute, die nicht schwimmen und nicht baden wollten, und ich habe gesehen, dass sie im Aktenschrank eine Flasche Cognac aufbewahrte. Nur den Hausmeister ließ sie dann ins Büro. Mit ihm hielt sie lange Besprechungen ab, danach kündigte sie Konsequenzen an, Konsequenzen wird das haben, sagte sie, die Verantwortlichen werden schon sehen, was sie davon haben. Und alle nickten, weil keiner wusste, was sie meinte.
Ich lasse mich nicht verleumden. Dass ich einfältig sei, beschränkt, behauptete sie von mir, Klaus hat es mir erzählt. Zu nichts fähig, als die Schilder auswendig herzusagen oder Chlor anzufordern, sagte der Hausmeister mir ins Gesicht, das Chlor frisst dir noch das Hirn weg. Jedes Mal wenn ich Chlor oder Flockungsmittel brauchte, forderten sie mich auf, schriftlich einen Antrag einzureichen, und jedes Mal hatten sie den Antrag verloren und brauchten einen zweiten. Guten Morgen, sagte ich morgens und mehr nicht, und mir war es recht, wenn sie mich nicht beachteten, die Schwimmhalle kaum je betraten. Guten Abend, sagte ich abends, doch war dann meist keiner mehr da. Dann verließ ich das Gebäude durch den Heizungskeller und zog die schwere Eisentür, die nicht abgeschlossen werden musste, hinter mir ins Schloss. Als der Hausmeister mir den Schlüssel zum Seiteneingang gab, hatte er das wohl vergessen, so wie er dann den Schlüssel vergaß und ihn nicht zurückforderte. Meistens war ich der Letzte, der das Bad verließ, nur im Keller war manchmal noch ein Heizer. Bis Klaus kam, arbeiteten zwei Heizer abwechselnd, so wie es früher einmal zwei Bademeister gegeben haben muss.
Mich ließen die anderen in Ruhe, betraten die Schwimmhalle nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und geputzt wurde sehr früh morgens, bevor ich kam. Erst an dem Tag, als der Placken Putz und Farbe aus der Wand brach, versammelten sie sich in der Halle, und seit diesem Tag kam der Hausmeister täglich unter irgendeinem Vorwand und musterte die Wände, die schadhafte Stelle und dann mich, als hätte ich Schrunden an meinem Körper. Personen mit Wunden und Hautausschlägen sind von der Benutzung des Schwimmbeckens ausgeschlossen. Sie witterten es, sie wit-terten den Verfall wie Fische, die Blut riechen, und wollten die schadhafte Stelle mit eigenen Augen immer wieder sehen, und sie lachten, wenn sie merkten, dass ich ihnen am liebsten verboten hätte, sich hier aufzuhalten. Der Hausmeister und die Verwalterin hatten einen Plan, hören Sie? Es gibt etwas, das sie verbergen wollten, auch wenn ich nicht genau weiß, was es ist. Ich bin nicht verrückt. Sie haben in den Lohnlisten zwei Heizer und zwei Bademeister geführt und das Geld eingesteckt. Hören Sie? Man kann ein Schwimmbad nicht mit nur einem Heizer und einem Bademeister vierzehn Stunden täglich offen halten. Doch wollte ich nie Bademeister werden, und wie viele Stunden ich täglich hier verbrachte, war mir egal. Es gab nie einen Ausweg.
Drei Wochen bin ich durch die Stadt gelaufen. Meine Mutter wusste nichts von meiner Arbeitslosigkeit. Sie hat meine Arbeit verachtet, Bademeister, das ist kein Beruf, hat sie empört gesagt. Nach der Wende hat sie darauf gewartet, dass ich endlich einen anderen Beruf ergreife. Ich war fast fünfzig Jahre alt. Jeden Abend hat sie an der Tür auf mich gewartet und gefragt, ob ich etwas unternommen hätte. Bis neun Uhr abends bin ich im Schwimmbad geblieben und habe mich langsam umgezogen, damit ich erst um halb zehn nach Hause komme. Sie ist früh zu Bett gegangen. Wir haben kaum ein Wort gewechselt.
Die Tage in einer Wohnung sind zu lang. Man geht den Flur auf und ab und von einem in ein anderes Zimmer. Sie hat nie gearbeitet. Vor ein paar Wochen ist sie dann gestorben.
Es soll niemandem gelingen, mich zu vertreiben. Durch die Stadt werde ich nicht wieder laufen. Ich habe nichts Unrechtes getan, und ich werde nicht wieder durch die Stadt laufen, bis ich nicht weiterlaufen kann und mich auf
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