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Der Bademeister: Roman (German Edition)

Der Bademeister: Roman (German Edition)

Titel: Der Bademeister: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Parkbänken oder Haltestellen ausruhen muss, weil ich nicht weiterkann, weil ich doch nur im Kreis und in die Irre laufe. Ich habe gesehen, wie Leute in Abfalleimern wühlen und mit geschlossenen Augen und aufgesprungenen Händen in der Kälte liegen, in Toreinfahrten, auf Treppenstufen vor Geschäften, bis man sie von dort vertreibt, und schlechter Geruch klebt ihnen an den Kleidern und am Körper. Noch einmal wird mir das nicht passieren. Ich habe den Geruch bemerkt, meinen eigenen Geruch nach Schweiß, nach Straßendreck und Angst, und wenn mir hier auch der Geruch nach Wasser und nach Chlor fehlt, so ist das noch immer besser als dieser Geruch, den die anderen schneller bemerken als man selbst. Jetzt sind meine Kleider verschmutzt, weil ich die Öfen heize. Der Kohlegeruch frisst sich in die Haut. Ich dusche nicht mehr jeden Tag, es hilft doch nicht. Wenn ich das Bad nicht beheize, frieren die Leitungen ein. Wollen Sie das Gebäude einstürzen sehen?

    Als meine Mutter starb, ging ich zu Cremer. Erst war er beleidigt, weil ich mich so lange nicht hatte blicken lassen, aber dann kam er mit mir in die Wohnung, um zu helfen. Ich wusste nicht, was man in solchen Fällen tut, denn als mein Vater sich aufgehängt hatte, war die Polizei gekommen. Cremer rief bei einer Beerdigungsgesellschaft an, und nach zwei Stunden klingelte der Vertreter. Ich wollte nicht auf den Friedhof gehen, sagte ich, und er schlug vor, dass ich sie als anonyme Urne bestatten lassen könne, anonyme Urne ohne Feier, erklärte er, und dass es so am billigsten sei. Cremer war empört. Der Boden sei ja nicht gefroren, sagte er, für seine Mutter habe man den Erdboden eigens mit Presslufthämmern aufgebrochen. Aber ich war bei der Beerdigung meines Vaters nicht dabei gewesen, und ich wollte nicht zur Beerdigung meiner Mutter. Sie hat ihn vierzig Jahre überlebt. Ich habe damit nichts zu tun.

    Hier schlafe ich im Keller auf einer alten Pritsche, die Klaus sich aufgestellt und dagelassen hat. Ausgestreckt liege ich auf dem Rücken, ganz gerade und ohne mich zuzudecken, denn im Keller ist es warm, vor Kälte muss man sich nicht fürchten. Ausgestreckt liege ich da, die Füße nebeneinander, die Arme so gekreuzt, dass der Kopf auf den Unterarmen ruht. Ein Toter könnte so daliegen, fiel mir gestern ein, und jetzt liege ich dort nicht mehr gerne. Dass es Kirchen gibt, in denen echte Totle in Glassärgen ausgestellt liegen, hat Cremer mir aus einer Zeitschrift vorgelesen.
    Die ersten Jahre habe ich das Schwimmbad gehasst, als wäre ich dort begraben. Jetzt ist das Becken leer, es würde zum Friedhof taugen, der Platz für Tote da, wo früher einmal Badegäste schwammen. Durch meine Schuld ist niemandem ein Unglück zugestoßen, und ertrunken ist hier keiner, solange ich der Bademeister war.
    Anfangs habe ich es gehasst, hier zu arbeiten, den Lärm gehasst, die Langeweile, doch dann habe ich meine Arbeit gern getan. Habe hier mehr Zeit verbracht als vorgesehen, denn wo eigentlich zwei beschäftigt sind, blieb ich allein, und es war mir recht. Wo mein Kollege sei, wurde ich gefragt, der alte Bademeister, dessen Gehilfe ich gewesen war, wohin er denn verschwunden sei. Ich solle gut darüber nachdenken, wurde mir gesagt, und bevor ich es nicht wüsste, würde ich hier bleiben müssen. Er hat Ihnen kein Wort gesagt? fragten sie mich höhnisch, und der damalige Verwalter klopfte ungeduldig auf seinen Schreibtisch. Denken Sie in Ruhe darüber nach, rieten sie mir, Zeit genug haben Sie hier.
    Und ich hatte genug Zeit, hatte alle Zeit der Welt, bis von der Welt und meinen Plänen nichts übrig blieb. Man hat Sie wohl vergessen, bemerkte der Verwalter gleichgültig. Dann wurde er ersetzt wie auch der Hausmeister, und nur ich war immer noch da, als Frau Karpfe kam. Sie wollen doch keinen Ärger? fragte sie mich. Man wird ein Auge auf Sie haben.
    Kein zweiter Bademeister und kein Gehilfe wurde eingestellt, stillschweigend nahm die Verwalterin an, dass ich allein alle Stunden arbeitete, die Schwimmhalle früh öffnete, spätabends schloss und keine Ferien machte. Als Gehilfe des Bademeisters hatte ich angefangen, war nicht einmal ein regelrechter Lehrling, verließ das Bad, so früh ich konnte, ging ungern hin und gerne wieder weg; Bademeister wollte ich nie werden. Es musste sich um ein Versehen handeln, dass ich nicht studieren durfte, dachte ich und las zu Hause weiter meine Bücher, ein zeitweiliges Versehen, denn sobald meine Zuverlässigkeit erwiesen wäre,

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