Der Bär
nicht wahr«, hauchte ich. Ich suchte mir die Vario von Rossi aus der Tasche und stopfte sie. Ich war etwas zittrig.
Die Alte strahlte und tippte sich gegen die Stirn. »Alt und krumm und Rheuma und Gicht. Aber da oben das, das ist noch topfit.« Der Herd brannte, der Kessel begann zu singen, sie tat löffelweise Blümchenkaffee in eine alte blaue Kanne.
»Wer war der Tote?«, fragte Rodenstock schnell.
»Tutut«, antwortete sie einfach. »Also, sie nannten ihn Tutut. Wie der wirklich hieß, weiß keiner. Und vielleicht war es auch Tututs Bruder. Aber deswegen hat es ja Streit gegeben.«
»Was für einen Streit?«, fragte Rodenstock.
»Na ja, damals wegen der Gendarmerie.«
»Können wir das mal ganz langsam aufdröseln?«, fragte ich. Ich hatte die verrückte Vorstellung, dass sie gleich umfiel und tot war - schon deshalb, weil ich mir nicht vorstellen konnte, so viel Glück zu haben. »Wieso hieß der denn Tutut?«
»Also, mein Vater erzählte immer, dass der mit einer Tröt durch die Gegend zog. Er trötete, wenn er kam. Das war so ein Kuhhorn oder so was. Der hieß überall Tutut, und er war wohl ein Zigeuner. Ich kenne mich da nicht so aus.«
»Und wieso der Streit?«, fragte Rodenstock.
»Also, dieser Tutut hatte einen Bruder, der genauso aussah. Meine Mutter hat immer behauptet, das wären Zwillinge gewesen. Und mein Vater sagte immer, das wäre Quatsch. Der Bruder wäre jünger gewesen. Mein Vater war auf dem Sprudel.«
»Was hat der da gearbeitet?«
»Er war Kistenmacher. Er machte die Kisten, wo dann die Tonkrüge mit dem Wasser reingepackt wurden. Ich habe noch Tonkrüge hier. Wollt ihr die sehen?«
»Nicht nötig«, sagte Rodenstock hastig. »Und Tutut ist getötet worden?«
»Genau dadrum haben die Leute gestritten. Die meisten haben gesagt, das wäre nicht Tutut gewesen, sondern der Bruder von dem. Angeblich haben sie den erschossen oder so.«
»Erschossen?«, fragte Rodenstock. »Sind Sie sicher, erschossen?«
»Kann auch anders sein. Also, das weiß ich nicht mehr genau.« Sie goss uns von dem Blümchenkaffee ein - der Geruch erinnerte mich an etwas. Ich kam aber nicht darauf, was es war. »Meine Mutter sagte immer, Tutut könnte das nicht gewesen sein. Wenn es nämlich Tutut gewesen wäre, dann müsste ja der Bär da gewesen sein.«
Rodenstock und ich fragten gleichzeitig: »Bär?«
»Ja. Dieser Tutut hatte einen Bären. Ein großes Tier, wie meine Mutter sagte. Den ließ er immer tanzen, und die Leute gaben ihm Geld dafür, klatschten sogar. Das war damals so, das war immer so eine Art Kirmes, wenn Tutut kam. Und es war eben so, dass... also als dieser Mann tot gefunden wurde, war da kein Bär. Das wusste meine Mutter ganz genau.«
»Wir stehen vor einem Problem«, sagte Rodenstock eindringlich. »Da wird dieser Mann getötet. Er ist erschlagen worden. Dann sind Gendarmen und ein Arzt und ein Richter aus Gerolstein gekommen und haben einen Bericht erstellt. In dem Bericht steht eigentlich nur, dass sie einen toten Mann gefunden haben. Kein Wort mehr. Wir wissen jetzt nicht einmal, wo der Tutut denn begraben worden ist. Hat Ihr Vater, hat Ihre Mutter das jemals gesagt? Da fällt mir ein, wie heißen Sie eigentlich?«
»Ich bin die Elisabeth, die meisten nennen mich Betty, ihr könnt ruhig du sagen, wir sind da nicht so.«
»Elisabeth«, sagte ich vorsichtig. »Das ist eine komische Geschichte, wenn du weißt, was ich meine. Da wird dieser Tutut getötet. In dem Bericht steht nicht, wo er begraben wurde. Hat dein Vater jemals etwas darüber gesagt? Oder die Mutter?«
»Nix!« sagte sie entschieden und nicht im Geringsten unsicher. »Also Tutut mit der Tröt, wie früher immer gesagt wurde, machte auch Scherenschleifen und Messerschleifen und so was. Also früher hatte man ja was gegen Zigeuner. Es wurde immer gesagt, die stehlen. Und manchmal wurde auch gesagt, die entführen kleine Kinder und verkaufen sie irgendwo weit weg. Und manchmal ist gesagt worden, die braten kleine Kinder und essen sie. Das war für uns Kinder furchtbar, weil wir dauernd Angst kriegten. Aber Tutut war nicht so. Alle mochten Tutut. Das hat meine Mutter gesagt, und meine Mutter hat nie gelogen, nicht ein einziges Mal. Und er war ja auch wichtig für Liebesleut.«
»Was machte er da?«, fragte Rodenstock.
»Hm, dein Tabak riecht aber gut«, lobte sie. »Also, es war ja so, dass Liebesleut damals manchmal Schwierigkeiten hatten. Die konnten sich ja nicht treffen. Also schrieben sie sich Briefe. Und Tutut
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