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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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besser ist als das Carlton in Washington. Aber weshalb ein Gänseblümchen auf meiner Mauer steht, wissen Sie nicht. Ich bin hier zu Hause, und ich möchte dabei von Ihnen nicht gestört werden. Und Ihr verdammtes Tütü lassen Sie bitte, klar?«
    Jetzt war sie wirklich getroffen. Jetzt kam ihr Emma zu Hilfe. Sie sagte sehr sanft: »Also, Esther meint das alles nicht so. Sie ist neurotisch, aber lieb, sie ist meschugge, aber sie ist es gern. Stimmt das so, Liebes?«
    »Das stimmt so«, schluchzte Liebes.
    »Na schön, also, was ist?«, fragte Rodenstock aggressiv. »Du bist zwar Verwandtschaft, aber den Fall müssen wir trotzdem angehen.«
    »Er ist eben viril«, grinste Emma. »Pass auf, Liebes, du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du weichst zu Onkel Karl nach München aus oder du halst die Klappe, bleibst hier und genießt die Ruhe. Ich weiß, Ruhe macht dich krank, aber so ist die Lage nun mal. Was willst du?«
    Da sagte das erstaunliche Wesen ganz leise und glockenklar: »Dann hätte ich gern mal Ruhe.«
    Dann kam Hermann in den Garten geschossen und sagte: »Ich habs, ich weiß, wie wir die Balken abgrenzen. Wir drehen Sisalstricke und legen die wie eine Borte an die Balken. Das sieht gut aus, ist haltbar, dämmt und ist eine der Lösungen, die ich vertreten kann.«
    »Das ist schon ein komischer Haufen hier«, sagte Esther lächelnd. »Und wer ist das nun schon wieder?«
    »Das ist Hermann, bester Kopf im Haus«, sagte ich. »Nun trockne die Tränen und pack deine Sachen aus. Und wenn du vernünftig bist, gehst du mit Tante Emma nach Daun und kaufst dir ein paar praktische Sachen.«
    »Oh ja, Joop hat fantastische Hemden, solche mit Karos, wie bei den Waldarbeitern.«
    »Oh Gott«, sagte Hermann inbrünstig. »Der Siggi meint Pullover und gute solide Schuhe und Jeans und so ein Zeug. Nicht Joop.«
    »Aber Joop ist so was von gut«, sagte Esther erstaunt. »Joop ist Pipifax«, sagte Hermann, und das kam sehr endgültig.
    »Also komm, wir fahren mal ein paar Klamotten kaufen.« Emma stand auf. »Und dabei bringe ich dir was über die Eingeborenen bei. Die Eifler sind genauso gut wie Juden, Liebes.«
    »Wie bitte?«, fragte Esther schrill.
    »Na ja, beide sind Weltmeister im Überleben.«
    Sie nahm Esther sorgsam wie ein Kind am Arm und ging mit ihr davon.
    Hermann setzte sich auf den Rasen und drehte sich eine Gauloises.
    Rodenstock murmelte: »Sie ist erbärmlich einsam. Das Single-Syndrom. Es ist noch nicht lange her, dass sie versuchte, sich das Licht auszublasen und abzutreten. Darüber redet sie nie.«
    »Keine Familie?«
    »Doch, schon. Aber eben nicht genug. Was treiben wir jetzt?«
    »Wir sollten zum alten Mattes nach Lissingen gehen.«
    »Wie soll der uns helfen?«
    »Der könnte Erinnerungen haben ... wenn er noch welche haben kann.«
    »Wie alt?«
    »Der muss so gegen die hundert laufen. Ich liebe Hundertjährige.«
    »Dann lass uns fahren.«
    Hermann trollte sich wortlos zu seinen Sisalstricken und wir nahmen das Auto unter den Hintern. Ich wusste nicht mehr genau, wo der alte Mattes in Lissingen wohnte, aber ich hoffte, das würde uns jemand sagen können.
    Eine Frau, die im Rinnstein vor dem Haus kehrte, sagte lapidar: »Mattes? Den hat doch längst der Sargtischler geholt. Das ist doch schon ein Jahr her.« Sie hatte ein ledernes Gesicht, ging auf ganz krummen Beinen und hatte helle, wache Augen.
    »Wie alt seid Ihr denn?«
    »Ich bin erst siebenundachtzig. Wat wollter denn?«
    »Über alte Zeiten reden.«
    »Wat denn für Zeiten?«
    »Na ja, alte eben. Als du noch ein Kind warst.«
    »Ach, du lieber Gott. Du bist doch dieser ...«
    »Dieser Siggi.«
    »Und du willst dann wat schreiben.«
    »Nicht unbedingt. Erst mal reden.«
    »Na gut. Dann kommt rin. Aber ich hab nur Blümchenkaffee.« Sie war offensichtlich froh, ihren Besen an die Hauswand stellen zu können, sie war es wohl leid, allein zu sein.
    Wir hockten uns um den Küchentisch. Es war eine sehr alte Küche, sehr niedrig, sehr dunkel, aber ungemein gemütlich. Sie hatte überall Strohblumen verteilt, und als sie merkte, dass ich die Blumen betrachtete, sagte sie stolz: »Alle selbst gezogen. Also Jung, wat willste wissen?«
    »Darf ich mal?«, fragte Rodenstock. »Ich bin Siggis Freund. Also, es ist so, dass jemand ermordet worden ist. Lange her, lange her. Einhundertelf Jahre.«
    »Och, dat weiß ich doch«, sagte sie mit einem breiten Lachen. »Auf Pelm zu. Richtig? Nä, nach Pelm, also irgendwo bei Rockeskyll. Richtig?«
    »Das ist

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