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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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er über sich, aber manchmal reden sie auch nett über andere Dinge. Du denkst: Der könnte es wenigstens für eine Weile sein, und du lässt dich darauf ein, dass er in dein Appartment mitgeht. Es geht zur Sache, verstehst du, es geht so normal zur Sache, als gäbe es keine andere Möglichkeit. Und manchmal bleibt er bis zum Frühstück. Und dann sagt er, er hat etwas zu erledigen und ist abends wieder da. Und er ist da. Zweite Runde.«
    Sie schnaufte unwillig. »Irgendwann redet er von der Einsamkeit in Hotels, dass er eine Wohnung hat, dass ich dort leben könnte, dass er mich nicht einschränken will, dass ich tun und lassen kann, was ich will. Ich gehe darauf ein. Er ist kein riesiger Lover, aber er ist nett und anständig und irgendwie ehrlich. Er sagt, er will Karriere machen und er könnte sich vorstellen, die Hälfte der Karriere für mich zu machen. Und wo ich gern leben würde. Und spätestens dann gehe ich. Nicht im Krach, oh nein, das habe ich nicht nötig. Ich gehe, wenn er seinen Job macht. Ich lasse ihm einen Zettel da: War schön, aber nun ist Schluss. Mach's gut! Und dann hocke ich wieder in irgendeinem Hotel und behaupte, meine Freiheit sei mir unendlich viel wichtiger.«
    »Wie alt bist du jetzt?«
    »Achtzig, manchmal fünfundachtzig. Nein, achtunddreißig. Warum fragst du das?«
    »Weil du verantwortlich sein solltest für irgendetwas. Dann kannst du vielleicht einmal verantwortlich sein für irgendeinen Menschen. Das klingt wie das Wort zum Sonntag, ich weiß, aber mir fällt dazu nichts anderes ein. Du kommst mir vor wie die Mutter von Halbwüchsigen, die sich weiß der Teufel was zugutehält auf ihre ach so liberale, nicht stattfindende Erziehung, die dann furchtbar überrascht ist, wenn der Sohn ihr einen unsittlichen Antrag macht und die Tochter hascht. Und um das alles zu verdecken, rennst du plappernd durch die Gegend und verlierst die Nerven, weil mein Haus so still ist. Du kannst nicht allein leben, nicht wahr?«
    Sie goss sich noch etwas von dem Kognak ein, trank einen Schluck und schüttelte dann den Kopf. »Kann ich nicht. Wenn ich nur daran denke, gerate ich in Panik.« Sie seufzte. »Wenn ich nur so wäre wie Emma.«
    »Aber du bist nicht Emma. Und Emmas Weg war lang, denke ich. Hast du nicht studiert, irgendetwas gelernt?«
    »Habe ich. Acht Semester Philosophie. Und anschließend die Frage: Was soll ich mit dem Scheiß? Mein Gott, ich bin betrunken.«
    »Das macht nichts. Niemand nutzt es aus. Du solltest schlafen gehen.«
    Sie nickte und sah mich an. Sie sagte nichts, und nach einer Weile nickte ich nur und sagte: »Aber du bleibst auf deiner Seite.«
    »Das ist o.k., das tue ich.« Sie blieb nicht auf ihrer Seite.
    Ich wurde wach, weil Emma am Bett stand und genüsslich grinste.
    »Bitte, ich kann nichts für ihre Einsamkeit«, sagte ich abwehrend.
    »Hah!«, sagte sie erfreut. »Rodenstock meint, wir sollen mal zu diesem alten Mann fahren. Es ist sieben. Auf, auf, ihr faulen Stücke!«
    »Das ist ja wirklich sehr bäuerlich hier«, knurrte Esther.
    »Also Mattä Juppes oben in Büscheich. Wollt ihr mit?«
    »Ich nicht«, stellte Esther fest. »Das ist mir einfach zu idiotisch!«
    »Geh dich mal rasieren«, sagte Emma. »Mit der muss ich mal was reden.«
    Rodenstock hatte einen Kaffee gebraut, der einem die Haare auftürmte.
    »Wir können doch nicht zu viert bei dem Alten aufkreuzen«, sagte ich.
    »Wieso nicht? Alte Leute mögen ein bisschen Rummel.«
    Aber den alten Mattä Juppes erreichten wir nicht in seinem kleinen Haus. Mattä Juppes war weg, spurlos verschwunden. Stattdessen stand ein völlig genervter Schwiegersohn in der Tür und erklärte lapidar: »Jetzt ist Schluss, jetzt kommt er weg in ein Heim. Das mache ich nicht mehr mit. Der ist doch total verrückt ist der.« Er trug einen Blaumann, hatte eine Rohrzange in der Hand, mit der er herumfuchtelte, als wolle er den verschwundenen Mattä damit erledigen.
    »Seit wann ist er denn weg?«, fragte ich.
    »Seit sechs ungefähr. Meine Frau ist schon weg ihn suchen. Aber sie findet ihn nicht, da gehe ich jede Wette ein. Dieses Sakraluder!«
    »Und wenn er abhaut, wohin haut er dann ab?«, fragte Emma.
    »Na ja, gewöhnlich trampt er. Und meistens trampt er auf die Kasse nach Daun. Er glaubt, er hätte dort noch ein Konto. Er will immer hundert Mark abheben. Für Stumpen. Das muss man sich mal vorstellen. Für Stumpen, für schmierige, dicke, dreckige, stinkende Zigarren. Und wenn er sich eine anzündet, hustet er drei

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