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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Bär.«
    »Eben nicht«, sagte ich. »Ein Bär ist eine Bestie. Damals war ein Bär so gut wie eine Horde Bestien. Genau dasselbe war mit Wölfen. Es gab zwar keine Bären, aber die Angst war da. Ein Bär, frei und wahrscheinlich ziemlich gestresst, also angriffslustig, muss ein Albtraum gewesen sein.«
    »Das ist was für Jack Diamond«, plapperte Esther. »Der jagt jedes Jahr Bären in Alaska, und er hat mir erzählt... «
    »Liebes«, unterbrach Emma, »es geht hier nicht um irgendeinen deiner Lover, sondern um einen Bären, der Zeuge war bei einem Mord. Vor einhundertelf Jahren. Und, entschuldige bitte, wir sind an diesem Mann in Alaska überhaupt nicht interessiert.«
    Wie ein Kind murmelte sie: »Ich dachte ja nur.«
    »Gibt es Aufzeichnungen in den Forstämtern?«, fragte Emma.
    »Wahrscheinlich«, nickte ich. »Es fragt sich nur, ob wir die Akten einsehen können, ob sie nicht längst vernichtet wurden.«
    »Ich frage mich«, sagte Emma, »ob die Tessa überhaupt weiter nachfragen darf. Sie wird Schwierigkeiten kriegen. Was ist, wenn ihr eigener Vater sagt, sie solle den Blödsinn lassen.«
    »Dann wird sie es lassen müssen«, murmelte Rodenstock nickend. »Es gibt immer Punkte, an denen eine kleine Stadt sich angegriffen fühlt. Wir brauchen einfach noch mehr alte Leute, die irgendetwas gehört haben. Erst dann können wir gezielt nach Unterlagen fragen. Die Reaktion auf ungezielte Nachfrage ist immer schlecht. Sofort hast du verloren. Also, Pause bis morgen. Ich bin ohnehin müde.«
    »Morgen früh sollte Mattä Juppes dran sein. So um sieben«, sagte ich.
    »Wieso so früh?«, fragte Emma.
    »Weil alte Leute früh auf den Beinen sind, weil sie wenig Schlaf brauchen, weil sie morgens am frischesten sind, wenn sie überhaupt noch frisch sind. Ich bezieh mal.«
    »Lass mich das machen«, sagte Emma. »Ich weiß ja Bescheid. Liebes, du kannst mir helfen.«
    Ich ging in mein Arbeitszimmer und legte eine CD der frühen New-Orleans-Serie auf. Als das Telefon schrillte, wollte ich nicht drangehen, nahm dann aber ab, weil ich neugierig bin.
    Es war Gerlinde, und sie sagte knapp: »Grüß dich. Gerhard Lenzen ist heute früh gegen halb sechs gestorben. Ich denke, du solltest das wissen. Hallo, hallo? Bist du da?«
    »Ja, na sicher bin ich da. Das ist schlimm. Wird ... ich meine, wird Brigitte damit fertig?«
    »Ich denke schon. Sie ist tapfer und stark, und sie wird es schaffen. Ich sage dir noch, wann die Beerdigung ist. Machs gut.«
    Lieber Himmel, der Lenzen. Er war ein Begnadeter, er schuf die Brunnenplastik in Ulmen, er stellte die ragenden, schwingenden Stahlstäbe in Gerlindes Garten auf, er war jemand, den das Leben jeden Tag erstaunte. Er hatte einen schweren Motorradunfall - und bei der Gelegenheit entdeckten die Arzte Krebs. Nun ist er gegangen, nun werden die Touristen vor dem Brunnen in Ulmen stehen: »Sieh mal an, einer aus der Eifel hat das gemacht!« Ganz ohne es zu wissen, werden sie die Verkörperung der Ironie des Schicksals darstellen. Die Eifel hat einen großen Künstler weniger, das Leben wird weitergehen.
    Ich duschte und legte mich nackt auf mein Bett. Es war drückend schwül, und wahrscheinlich würde irgendwann in der Nacht ein Gewitter niedergehen. Ich hörte das Gemurmel von Esther, Emma und Rodenstock im Garten, ich las in Singel & Single von Carre und schlief irgendwann ein. Gegen zwei Uhr wurde ich wach, weil es knallte und der Donner schmetternd war. Paul, Willi und Satchmo hockten vor der Schlafzimmertür und wischten unter das Bett. Ich sah nach, ob die Fenster geschlossen waren, es goss wie aus Eimern. Das Gewitter war genau über dem Haus, die Blitze waren grell und lang, und der Donner kam ohne zeitlichen Abstand. Sicherheitshalber ging ich hinauf und zog den Stecker vom Computer aus der Dose, dann ging ich auf den Dachboden, der mehr Hermanns Dachboden war als mein eigener. Er hatte die besten Ideen zum Umbau geliefert. Durch die flach im Dach liegenden Fenster konnte man das Gewitter genau beobachten, es war ein großartiges Schauspiel, Mama Natur tobte sich aus.
    Dann dachte ich an Tutut, ich versuchte, mich auf ihn zu konzentrieren. Das gelang nicht, ich wusste zu wenig von seinem Leben. Die alte Elisabeth hatte gesagt, er trug Briefe zwischen Liebesleuten hin und her. Vielleicht hing sein Tod damit zusammen, möglicherweise hatte er etwas erfahren, was er nicht erfahren durfte. Aber was war dann mit seinem Bär geschehen?
    Als sie hinter mir sagte: »Ich habe dich

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