Der Bär
sagten ja alle nicht viel. Und außerdem waren sie alle Geheimniskrämer. Er hat ja auch gehext, also gezaubert. Er hat Warzen weggehext und solche Sachen. Und wenn Frauen keine Kinder kriegten, hat er auch gehext.«
»Eine Frage zwischendurch«, murmelte Emma. »Wie oft kam er denn im Jahr hier durch?«
»Oh, oft. Mein älterer Bruder hat ihn noch gekannt. Der Bruder ist gestorben, meine ganzen Geschwister sind gestorben. Tutut, wurde immer gesagt, war den ganzen Frühling, den Sommer und den Herbst hier in der Gegend. Er war beliebt.«
»Und wie reiste er, ich meine, wie bewegte er sich fort?«, fragte ich.
»Er hatte so einen Karren, einachsig. Mit einem Verdeck. Da schlief er drin. Und einen Esel hatte er, manchmal auch einen Ochsen, wie es gerade kam. Und Messer schleifen konnte er und Scheren und Sensen und so was. Nahm immer nur ein paar Pfennige, war billig.« Und dann schrie er unvermittelt: »Marga! Marga! Verdammt noch mal, wo biste denn?« Dann beugte er sich vertraulich vor und murmelte: »Sie hat immer so schönen Kuchen!«
Die Tochter kam und sagte giftig: »Marga ist seit dreißig Jahren tot. Sage ich dir immer wieder!« Dann drehte sie sich herum und knallte die Tür zu.
Juppes war nicht verwirrt, Juppes murmelte nur: »Ach, so ist das, ach, so ist das!«
»Du hast deine Frau geliebt, nicht wahr?«, fragte Emma sanft.
Er sah sie an, und er begann zu lächeln. Das Ledergesicht blühte auf wie ein kleiner Mond. »Ja«, nickte er. »Das habe ich. Und manchmal denke ich immer noch: Gleich kommt sie gelaufen und bringt mir ein Stück Kuchen. Wo waren wir denn mit Tutut?«
»Er war ein Messerschleifer und fuhr mit einem einachsigen Karren«, sagte ich. »Und wir haben erfahren, dass er Briefe transportierte. Zwischen Liebesleuten.«
»Ja, das stimmt wohl«, nickte Juppes. »Ist ja schon lange her, aber ich habe das gehört, von vielen Leuten. Er war ein lustiger Kerl. Wenn er eine Frau sah, die eine Warze hatte, soll er gesagt haben: Ich mach die weg! Dann tat er geheimnisvoll und hat was gemurmelt. Aber die Warze blieb. Dann sagte er: Schade, heute klappt es nicht.«
»Sie sind sechsundneunzig«, sagte Rodenstock. »Also null drei geboren. Die Leute haben doch sicher immer noch jahrzehntelang über diesen Mord spekuliert. Wer hat es denn nach Ansicht der Leute eigentlich getan?«
»Die meisten waren damals für den alten Mestersen. Der war ein Landstreicher, der zog hier regelmäßig durch die Gegend, schlief irgendwo im Wald. Sie haben alle gesagt, der wäre es gewesen. Dann sagten sie auch, Berthold Schmitz oder der Bauer Hansen wären es gewesen. Aber ich glaube das alles nicht.« Er schlürfte von seinem Kaffee. »Dünn, viel zu dünn. Sie spart immer. Der Kaffee von meiner Frau war immer besser, viel dicker und richtig schön stark.«
»Also, lass uns mal Tacheles reden« Emma wollte vorwärtskommen. »Du hast doch einen Bestimmten im Auge, oder? Und dann lass mich mal was fragen: Wir denken, dieser Tutut hat einen Tanzbären gehabt, richtig?« Und als der alte Juppes heftig nickte, setzte sie hinzu: »Wo ist denn das Vieh geblieben? Und noch etwas: Du sagst, Tutut war ein netter, lustiger Kerl. Warum sollte den jemand töten? Und Tutut hatte ja auch keine Reichtümer gesammelt, oder? Für wen konnte es sich lohnen, den Tutut zu erschlagen?«
Er sah sie an, und die pure Lebenslust strahlte aus seinen Augen. Er sagte begeistert: »Da brauche ich einen Stumpen, da muss ich mal dran ziehen. Du bist ein helles Mädchen, was?«
»Oh ja!«, sagte Rodenstock inniglich. »Ist sie.«
Juppes zündete den Stumpen ziemlich umständlich an, und der Sauerstoffgehalt im Zimmer reduzierte sich augenblicklich auf einen gefährlichen Pegel. Der Stumpen stank, Juppes strahlte und begann sofort gotterbärmlich zu husten. Aber er hielt durch. »Bist ein helles Mädchen«, wiederholte er.
»Also, der Graf von Manderscheid hat den Bären geschossen. Eine Woche später. Aber die Sache ist geheim gehalten worden. Sie haben ja auch nie den Mörder gekriegt.«
»Warum denn nicht?«, fragte ich schnell.
Er zog erneut an dem Stumpen, hustete ausgiebig. »Sie wollten ihn gar nicht kriegen.«
»Warum denn das?«, fragte Emma.
»Weil er zum Zirkel gehörte, so einfach ist das. Oh ja, politische Kungeleien gab es auch damals schon.«
»Der Name!«, forderte Rodenstock. »Karl-Heinrich Wesendonker.«
»Wer war das?«, fragte ich.
»Das wisst Ihr nicht? Das ist aber komisch. Der war preußischer Beamter, ein
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