Der Bann Der Magie
linken Arm.
»Shipri segne dich«, flüsterte sie und drückte den Daumen auf die Stirn des Kindes, daß flüchtig ein weißes Mal zurückblieb, als sie ihn wegnahm. Dann hob sie ihren Schal von dem abstehenden Wandsplitter und klemmte sich den Lederkoffer unter einen Arm. »Ich bin so weit«, sagte sie zu Walegrin.
Sie verließen die beiden Vobfs ohne ein weiteres Wort. Walegrin machte sich mehr Sorgen, er könne das Kind versehentlich fallen lassen, als über Zip hinter seinem Rücken. Er konnte spüren, wie es sich gegen die Stoffstreifen wehrte und gegen die Unbeholfenheit, mit der er es hielt. Sobald sie durch den Hof und das Lagerhaus auf die Uferpromenade gekommen waren, erbot er sich, die Bürden mit der Hebamme zu tauschen.
»Ihr habt wohl noch nie ein hungriges Neugeborenes gehalten?« fragte sie lächelnd, während sie es der Kleinen unter ihrem Busen bequem machte. Walegrin knurrte etwas Nichtssagendes. »Ich kann nur hoffen, daß Ihr wißt, was Ihr tut«, fuhr sie fort. »Nicht jedermanns Liebste ist bereit, ein Findelkind aufzunehmen.«
Walegrin strich das schweißfeuchte Haar unter dem Stirnreif zurück und blickte zur aufgehenden Sonne. »Wir bringen das Kind zu meiner Halbschwester im Basar. Sie ist Illyra, die Seherin - ihr eigenes Töchterchen wurde bei den Krawallen im vergangenen Winter erschlagen, und sie bekam Zips Axt in den Bauch. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, ob sie die Kleine überhaupt aufnehmen will.«
»Ihr habt Mut!« Sie schüttelte erstaunt den Kopf.
Die Hitze wirkte sich auch auf den Basar aus. Die meisten Tagesbuden waren geschlossen, von den Händlern hatte zwar ein Großteil ihre Stände auf dem staubigen Platz aufgestellt, aber sie standen lustlos vor ihren Waren und gaben sich wenig Mühe, sie möglichen Kunden anzupreisen. Die allgemeine Mattigkeit hatte auch Dubro, Illyras Mann, erfaßt. Obwohl die Sonne bereits hoch über der Hafenmauer stand, hatte er sein Schmiedefeuer noch nicht geschürt.
Der Schmied sah sie kommen, nahm noch einen Bissen Käse, dann ging er ihnen entgegen. In den Monaten seit Illyras Verwundung hatte sich das Verhältnis zwischen den beiden Männern verbessert. Dubro, der seinem Schwager nicht nur die Schuld für die Abwesenheit seines Sohnes gegeben hatte, sondern auch für alles, was schlecht am rankanischen Reich war, hatte sich schließlich gezwungen gesehen, zuzugeben, daß Walegrin alles getan hatte, was ein Mensch nur tun konnte, um seine Frau und Tochter zu retten. Er vermißte seinen Sohn und trauerte um seine Tochter, aber Illyra ging ihm doch über alles. Er begrüßte Walegrin und Masha mit verwundertem Lächeln.
»Ist Illyra da?« fragte Walegrin.
»Sie ist noch im Bett. Bei dieser Hitze schläft sie so schlecht.«
»Wir würden gern mit ihr sprechen. Ist das möglich?«
Dubro zuckte mit den Schultern und schaute nach ihr. Augenblicke später kam er mit ihr zurück. Sie blinzelte in die Sonne und wirkte fast doppelt so alt, wie sie war.
»Du hast gesagt, du würdest nachts auf Streife gehen, solange diese Hitze anhält.«
»Tue ich auch.«
Er erklärte ihr, was in dieser Nacht vorgefallen war, soweit es seinen Besuch mit der Hebamme und dem Säugling betraf. Er erwähnte nichts von seinem Gespräch mit Kama oder dem Zorn, der ihn erfaßt hatte, als dem Neugeborenen die Schuld am Tod seiner Mutter gegeben worden war. Illyra hörte höflich zu, aber machte keine Anstalten, Masha das Kind abzunehmen.
»Ich bin keine Amme. Ich kann nicht für das Baby sorgen, Walegrin. Ich ermüde jetzt immer viel zu schnell, und selbst wenn das nicht der Fall wäre - würde es mich viel zu sehr an Lillis erinnern.«
»Das weiß ich, und deshalb habe ich es hierhergebracht«, erklärte ihr Halbbruder mit einer aufrichtigen Taktlosigkeit, die Dubros Augen funkeln und Masha seufzen ließ.
»Wie konntest du nur!«
Sie starrten ihn alle an. »Weil ihre Mutter tot in einer stinkenden Kammer am Schlachthof liegt und niemand sie wollte. Sie hat genausowenig darum gebeten, geboren zu werden, wie Arton darum, ein Gott zu werden oder Lillis darum, zu sterben!«
»Kein anderes Baby kann meine Tochter ersetzen, verstehst du das denn nicht? Ich kann die Kleine nicht in die Arme nehmen und mir weismachen, daß die Welt wieder in Ordnung ist. Das ist sie nicht. Und wird es nie wieder sein!«
Die simple Logik, die ihn veranlaßt hatte, Zip und dem Kindsvater das Recht auf das Baby abzusprechen, verließ Walegrin jetzt, während er seiner
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