Der Bann des Zeitreisenden (German Edition)
Rion warf ein Stück Fleisch in die Luft, die Eule fing es im Flug auf und trug es zu einem Deckenbalken hinauf.
»Erzähl mir von meinen Eltern.« Rion nippte an seinem Getränk und versteifte sich, als befürchtete er das Schlimmste. »Hast du etwas von ihnen gehört?«
Phen senkte den Kopf und starrte auf den Boden. »Sie leben vielleicht noch, aber wenn dies tatsächlich so sein sollte, dann sind sie jetzt Sklaven der Unari.«
Rions Miene veränderte sich nicht, aber Schatten des Schmerzes verdunkelten seine Augen. »Das hatte ich schon befürchtet.«
Wenn Marisa erfahren hätte, dass ihre Eltern tot oder versklavt waren, wäre sie nicht in der Lage gewesen, die Schmerzen zu unterdrücken. Oder die Tränen. Aber Rion wirkte ganz gefasst und war so still und steif, dass die Luft um ihn herum zu knistern schien. Trotz ihrer Wut auf ihn tat er ihr nun leid.
Er hatte alles verloren. Sein Zuhause. Seine Eltern. Seine Welt.
Rion verschloss sich in sich selbst, aber Marisa spürte deutlich seinen Schmerz und sehnte sich plötzlich danach, ihn zu berühren. Und sie musste vor sich selbst eingestehen, dass sie ihn auch wieder in die Arme nehmen wollte.
Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte, dass dies der richtige Zeitpunkt war. Seit ihrer Scheidung waren schon so viele Jahre vergangen.
Als ob er spürte, dass Rion einige Zeit brauchte, um sich zu sammeln, hob Phen den Kopf und sah Marisa eingehend an. Vor allem schien er an den Schuppen auf ihren Armen interessiert zu sein. »Woher kommen Sie?«
Sie warf Rion einen raschen Blick zu. Er reckte die Schultern, hob das Kinn und nickte, während in seinen Augen noch der Kummer lag. »Ich stamme aus Florida in Nordamerika.« Als Phen sie verständnislos anstarrte, fügte sie hinzu: »Das liegt auf dem Planeten Erde.«
Der Diakon runzelte die Stirn. »Auf der Erde? Sie steht auf der Liste der Unari. Es ist eine sehr lange Liste.«
»Was für eine Liste?«, fragte Marisa.
»Du musst wissen, dass die Stämme nicht nur über Ehro herrschen wollen«, erklärte Rion mit bitterem Ton. »Jede Welt, die in die Hände der Stämme fällt, gibt ihrem Reich zusätzliche Bodenschätze und eine breitere Basis, von der aus sie ihren Wahnsinn verbreiten können. Sie ersetzen das Licht durch Angst und Finsternis.«
Während ihr Puls raste, sagte Marisa mit sanfter Stimme: »Du hast aber meine Frage noch nicht beantwortet.«
Phen nahm einen Schluck, setzte sich in einen Sessel und sah Rion an. Wieder nickte dieser, als gäbe er seinem Onkel dadurch die Erlaubnis für eine Erklärung. »Einer der ehronischen Rebellen hat eine Liste von Welten herausschmuggeln können. Wir glauben, dass diese Liste aus den Planeten besteht, die die Unari überfallen wollen. Die Erde rangiert da ganz oben.«
Marisa keuchte auf. »Wenn die Unari meine Heimat angreifen wollen, sollte ich sie warnen.«
»Mir haben sie nicht geglaubt. Warum also sollten sie dir glauben? Schließlich hast du ebenfalls keinen wirklichen Beweis«, bemerkte Rion mit starker Skepsis in der Stimme.
Zu ihrem Entsetzen kannte Marisa die Antwort. Lucan war mit derselben Vermutung von Pendragon zurückgekehrt. Trotz allem, was er für die Erde getan hatte, hatte die Regierung seine Quellen in Zweifel gezogen und bessere Beweise verlangt.
»Eines will ich aber doch einmal klarstellen«, sagte Phen in ernstem Tonfall. »Wir wissen nicht mit letzter Sicherheit, dass diese Liste auch tatsächlich ein Invasionsplan ist. Vielleicht handelt es sich auch nur um einen Reiseplan.«
»Aber das glaubt Ihr nicht, oder?«, fragte Marisa, wobei ihr das Herz schwer wurde. Der Erde stand möglicherweise dasselbe Schicksal wie Ehro bevor.
Ihre Eltern, ihr Bruder, ihre Schwägerin und deren Kinder – alle, die Marisa kannte, waren vielleicht in Gefahr. Ihr war elend zumute, und sie wollte die anderen unbedingt warnen. Aber was konnte sie tun? Sie presste die Lippen zusammen und unterdrückte ein Stöhnen der Hilflosigkeit.
Ihr Blick traf sich mit dem Rions. Er hatte sie entführt, damit sie ihm bei der Befreiung seines Volkes half. Sie konnte diese Tat zwar noch immer nicht gutheißen … aber nun verstand sie allmählich, warum er es getan hatte. Denn auch sie würde doch jederzeit alles Nötige unternehmen, um die Erde zu retten.
Bei alldem – ihrer Entführung, der Bedrohung durch die Vollstrecker und die Unari – konnte sie nur Rion um Hilfe bitten. Es war ganz und gar unleugbar, dass ihre Herzen immer dann schneller
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