Der Bann des Zeitreisenden (German Edition)
holte tief Luft, schloss die Augen und versuchte ihre Benommenheit zu vertreiben.
Etwas Klebriges glitt an ihrer Wange herab. Sie hob die Hand, ihr Ärmel war blutig.
In ihrem Kopf pochte es. Ihr Geist wirkte wie verstopft; er arbeitete nicht mehr richtig.
Denn sonst würde sie doch jetzt keinen Schnee sehen. Die Flocken waren nicht so winzig wie auf der Erde. Sie waren faustgroß, hingen an ihrer Kleidung und bedeckten rasch den ganzen Boden. Schon nach wenigen Minuten hatte der Schnee die Trümmer vollständig bedeckt.
Wenn Rion irgendwo verletzt zwischen dem Schutt lag, war er nun ebenfalls eingeschneit. Gütiger Gott, konnte er überhaupt noch leben?
17
Im Sturm betet der Weise zur Göttin,
sie möge ihn nicht aus der Gefahr erretten,
sondern von der Angst befreien. Hohepriesterin von Avalon
Nicht jetzt! Verdammt. Warum besaßen seine blitzartigen Visionen die Angewohnheit, immer zu den unpassendsten Zeiten aufzutreten? Zum Beispiel nach dem Aufprall eines Raumschiffes, während er kopfüber in seinen Gurten hing? Die Bänder hatten sich in einem Baum verfangen, und seine Arme hingen aus den Gurten, die so fest wie eine Zwangsjacke waren. Er konnte sich kaum bewegen.
Selbst wenn er wüsste, dass sich die Unari auf dem Weg zu ihnen befanden, um sie gefangen zu nehmen, wäre es ihm doch nicht möglich gewesen, sich zu befreien und auf die Suche nach Marisa zu gehen. Er musste die Reihe der Bilder vor seinem inneren Auge aushalten.
Ein Mann, der mit seiner Frau schläft.
Der Bauch der Frau rund, mit einem Kind darin.
Die Frau, die den kleinen Jungen ihrem Geliebten entgegenhält.
Bevor Rion Einzelheiten erkennen konnte, hatte seine Vision bereits zu einem anderen Ort gewechselt.
Ein Soldat, der wieder mit seiner Mutter vereint war.
Und wieder änderten sich die Bilder so schnell, dass ihm schwindlig wurde.
Ein Mann mit blauen Augen, der nach »Pendra« rief.
Was bedeutete das alles? Diese Leute waren ihm unbekannt. Doch an ihrer Kleidung und Sprache erkannte er, dass sie aus Chivalri stammten.
Rion hatte großen Respekt vor seiner Gabe und versuchte sich daher, an alle Einzelheiten zu erinnern, auch wenn das recht schwer war, weil ihm das gesamte Blut seines Körpers in den Kopf geschossen war.
Er hatte geglaubt, die Visionen seien vorbei und er könne sich jetzt aus den Gurten befreien und vom Baum herunterklettern. Doch dann traf ihn eine weitere Vision.
Marisa saß in Kleidern von der Erde auf dem Boden und lehnte mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Schnee verklebte ihr Haar.
Rion hatte ihr Gesicht nicht gesehen. Er hatte auch nicht erkennen können, ob sie atmete.
Hatte sie geschlafen? War sie verletzt? Tot?
Gütige Göttin. Sie brauchte ihn, und er musste sie finden und ihr helfen. Er würde sie nicht sterben lassen. Nicht diese Frau. Nicht Marisa.
Rion fluchte. Er drehte sich in seinen Gurten und versuchte an sein Messer zu kommen.
Doch sie hielten ihn fest umschlungen. Es gab nur einen einzigen Ausweg. Ein Drachenwandeln würde ihn zwar kostbare Energie kosten, aber ihm blieb keine andere Wahl. Sein Körper dehnte sich zum Zwanzigfachen seiner menschlichen Größe aus, seine Arme wurden zu mächtigen Schwingen. Die Haut verdickte sich und wechselte die Farbe, bis dunkelpurpurne Schuppen seinen ganzen Körper bedeckten.
Die Gurte rissen, als wären es bloße Bindfäden. Seine Kleidung wurde zerfetzt. Frei von allen Fesseln ließ er sich auf den Boden fallen. Er breitete die mächtigen Flügel aus und nutzte einen Aufwind, der seinen gefährlichen Sturz abbremsen konnte.
Während seines ganzen Lebens hatte er sich bisher alle sechs Wochen verwandelt und Platin zu sich genommen, das seine Energiereserven auffüllte. Doch diesmal verursachte ihm die Verwandlung schreckliche Qualen. Rauch drang aus seinen Nüstern.
Wütend brüllte er auf.
Furchtbare elektrische Schockwellen fuhren an seinem Rückgrat und den Flügeln entlang. Sein Magen krampfte sich unter Schmerzen zusammen, in seinem Kopf hämmerte es.
Kaum war er sicher auf dem Boden gelandet, als er sich auch schon zurückverwandelte. Seine zerfetzte Kleidung ergänzte sich selbst und – was noch wichtiger war – der Schmerz verschwand. Er holte tief Luft und war verblüfft. Als er in seiner Drachengestalt gewesen war, hatte sich jeder Nerv angefühlt, als bade er in Säure. Es dauerte ein wenig, bis er wieder einen klaren Kopf hatte.
Dann fluchte er.
Dieser schreckliche Schmerz, den er erlitten hatte, hatte von dem
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