Der Bann (German Edition)
passierte, riskierte Hannah einen Blick nach unten. Nate hatte wieder das Bewusstsein verloren. Der Lungenautomat lag nutzlos auf seiner Brust.
Sie riss ihren Blick los. «Warum sollte irgendetwas nicht in Ordnung sein?»
«War lange niemand mehr hier in Llyn Gwyr. Manchmal, wenn ein Haus lange Zeit leersteht, macht es sich jemand gemütlich, obwohl er kein Recht dazu hat. Verdammt ungünstige Tageszeit, um hier aufzutauchen und Ärger zu machen, wenn Sie mich fragen.»
«Tue ich aber nicht.»
Er starrte sie weiter unentwegt an. Seine Gedanken waren nicht zu erkennen in den tiefen Falten seines Gesichts. «In Ihrem Wagen liegt ein kleines Mädchen und schläft. Ihre Tochter?»
Hannah spürte, wie ein Schrei in ihre Kehle stieg, doch sie unterdrückte ihn mühsam. Nate wurde mit jeder Minute schwächer; das Leben strömte mit jedem Moment, den sie zögerte, mehr aus ihm heraus. Leah lag allein und verlassen im Discovery, abgeschnitten von ihrer Mutter durch diesen seltsamen Fremden und seine Kreatur. Hannahs Kehle schmerzte vor gepresster Verzweiflung. «Ja. Meine Tochter.»
«Bringen Sie Ärger?», fragte er. Falls er tatsächlich Jakab war, dann war dieser eigenartige Wortwechsel nichts, womit sie gerechnet hätte.
«Nein. Wir bringen keinen Ärger.»
Er nickte. «Vielleicht nicht. Vielleicht aber doch. Vielleicht bringen Sie welchen und wissen es nur nicht. Im ersten Moment dachte ich, Sie wären Diebe oder sonst jemand, der nichts Gutes im Schilde führt. Aber jetzt hab ich Sie gesehen. Außerdem gibt es sowieso nicht viel von Wert hier im Haus.»
Hannah ging in Gedanken ihre Optionen durch. Sie hatte keine Waffe zur Hand. Nate hatte ihr von der Schrotflinte erzählt, doch die Küchentür war unverschlossen, und in der Zeit, die sie brauchte, um die Waffe aus der Kammer zu holen, wäre der Fremde im Haus. Und falls sie länger als eine Sekunde benötigte, um die Waffe zu finden, oder falls Nates Erinnerung falsch und die Flinte nicht geladen war, wäre alles vorbei. Und was, wenn der alte Mann tatsächlich nichts weiter als ein alter Mann war?
Er richtete den Blick gen Himmel, als hätte er das Interesse verloren. «Dieser Sturm bricht jeden Moment richtig los», sagte er. «Ich dachte mir, wenn Sie alleine sind, könnten Sie vielleicht Hilfe brauchen beim Anwerfen des Generators.»
Hannah traf eine Entscheidung. Sie durfte dem Fremden und seinen Absichten nicht trauen. Doch wenn er tatsächlich von einer benachbarten Farm kam und aus Hilfsbereitschaft hier war, durfte sie nicht riskieren, ihn misstrauisch zu machen. Sie brauchte Hilfe, mehr als alles andere.
Du musst das Risiko eingehen
, dachte sie.
Bitte, lieber Gott, mach, dass es nur ein alter Mann ist.
All ihre Sinne schrien Alarm, als sie zur Küchentür ging und sie öffnete, bevor sie Zeit fand, sich anders zu entscheiden. Eine eisige Windbö fuhr in den Raum. «Tut mir leid», sagte sie. «Sie haben mich erschreckt. Fangen wir noch einmal von vorn an. Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie vorbeigekommen sind, um nach dem Rechten zu sehen.»
Angefacht von der frischen kalten Luft, flackerte das Feuer im Kamin auf, und die Flammen spiegelten sich in den Augen des Alten. «Sie müssen sich nicht entschuldigen», sagte er. «Wenn man hier draußen lebt, vergisst man manchmal einfach, wie man andere Leute behandeln sollte.» Er streckte ihr eine Hand hin, und die Haut um seine Augen herum zog sich zu Fältchen zusammen. «Man nennt mich Sebastien.»
Hannah zögerte. Bemühte sich, das Zittern in den Griff zu kriegen, das sie zu verraten drohte. Streckte dem Alten die Hand entgegen.
Wenn er mich packt, schreie ich. Aber es spielt keine Rolle. Es wäre zu spät. Wenn er mich packt, habe ich versagt.
Sie spürte, wie sich die Finger des Alten um ihre Hand schlossen. Seine Haut fühlte sich an wie weiche Baumwolle, trocken und warm. Er hielt ihre Hand. Sein Händedruck war kräftig.
Dann ließ er sie wieder los.
Sebastien deutete auf den Hund. «Das hier ist Moses. Es ist eine Weile her, aber früher gab es einen Dieselgenerator in einem der Nebengebäude. Wenn der Motor nicht kaputt ist, könnte ich versuchen, ihn für Sie in Gang zu bringen. Damit kriegen Sie zwar kein heißes Wasser, aber wenigstens haben Sie Licht. Warum holen Sie nicht Ihre kleine Tochter nach drinnen, während Moses und ich gehen und uns die Sache ansehen?»
«Das ist sehr freundlich von Ihnen, danke sehr.»
Sie wusste nicht annähernd genug über ihn oder darüber,
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