Der Bann (German Edition)
blauen Lippen. «Nate?»
Nate starrte an die Decke, die Augen unfokussiert und stumpf. Wie ein Leichnam. Nach einem Moment bewegte er den Kopf und sah sie an. Als er den Mund öffnete, um zu reden, brachte sie ihn sogleich wieder zum Schweigen, versicherte ihm, dass alles in Ordnung sei, dass er wieder gesund werden würde.
Dann sah sie den alten Mann an. «Was jetzt?»
Indem er sich auf der Sofalehne abstützte, erhob Sebastien sich auf die Beine. Er straffte die Schultern. «Jetzt ruht er sich aus. Ich würde es vorziehen, wenn wir ihn in ein Bett legen könnten, aber für den Augenblick kann er hierbleiben. Wir wollen nicht riskieren, dass sich die Wunden wieder öffnen.»
«Können wir ihn einfach schlafen lassen?»
«Wir sollten ihm vorher noch mehr Flüssigkeit geben.»
Hannah erhob sich und mischte ein weiteres Glas Zuckerwasser. Sie hielt es Nate an die Lippen. Er trank in großen Schlucken. Schloss die Augen. Sekunden später war er eingeschlafen. Hannah bemerkte, dass Sebastien sie scharf beobachtete.
«Ich denke, es ist Zeit für eine Reihe von Antworten», sagte er schließlich.
«Wird er überleben?»
«Das ist eine Frage.»
«Es ist die einzige Frage, die mich im Augenblick interessiert.»
Er runzelte die Stirn. «Sie haben versprochen, aufrichtig zu mir zu sein.»
«Er ist mein Ehemann.» Sie deutete auf den Sessel, in dem Leah schlief. «Das ist unsere Tochter. Die beiden sind für mich die wichtigsten Menschen auf der Welt. Sie sind alles, was ich habe. Und ich muss wissen, ob er leben wird.»
«Wenn Ihr Mann diese Nacht übersteht, stehen die Chancen gut.»
«Und seine Chancen, diese Nacht zu überstehen?»
«Glauben Sie an Gott?»
Die Frage schockte sie, erstickte sie. Sie konnte nicht sprechen.
Als Sebastien ihre Not sah, wurde sein Gesicht freundlicher. «Falls ja, sollten Sie beten. Weil das alles ist, was wir beide jetzt noch tun können.» Er setzte sich auf einen Holzstuhl am Tisch beim Fenster. Moses erhob sich, tappte durch den Raum und ließ sich zu den Füßen des alten Mannes nieder.
Sebastien kraulte dem Tier den Kopf. «Okay», sagte er. «Ich habe Ihnen geholfen, so gut ich kann. Wenn Sie Ärger ins Tal bringen, dann will ich das wissen. Frage Nummer eins: Wer hat ihn niedergestochen?»
Hannah schwieg für einen Augenblick, während sie in Gedanken durchging, was passiert war. Ihr Herz begann wild in der Brust zu schlagen. Sie ging zum Herd und drehte einen der Regler auf. Gas zischte. Sie fand eine Schachtel Streichhölzer und zündete die Flamme an. Anschließend füllte sie den Kessel mit Wasser und setzte ihn auf. «Sie haben recht. Sie haben Antworten verdient», räumte sie ein. «Ich erzähle Ihnen alles. Aber bevor wir damit anfangen, lassen Sie mich Tee aufsetzen.»
Sebastien entspannte sich. «Das ist eine sehr gute Idee.»
«Ich glaube, irgendwo steht auch noch Milchpulver aus dem letzten Jahrhundert herum.»
Sie wusste, dass sie ihn nicht länger als einen kurzen Moment mit Nate allein lassen durfte. Sie öffnete die Tür zur Speisekammer, und das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sich in den kleinen Raum duckte.
Sie fand, wonach sie gesucht hatte.
In der Küche war Sebastien auf seinem Stuhl am Fenster sitzen geblieben. Jetzt sah er hoch, als sie die Schrotflinte auf ihn richtete und die Waffe entsicherte.
«Ich kenne diese Tätowierung, alter Mann», sagte sie. «Ich habe sie schon einmal gesehen. Besser, Sie fangen an zu reden.»
Kapitel 4
Oxford
1979
C harles sah nur für einen Sekundenbruchteil, wie Nicoles Wagen sich überschlug, dann wurde die Sicht durch eine Reihe von Bäumen versperrt, während er weiterfuhr.
Die Hände um das Lenkrad geklammert, die Zähne vor Schreck zusammengebissen, warf er einen hastigen Blick in den Rückspiegel, bevor er mit aller Kraft auf die Bremse stieg. Die Haube des Stag tauchte ab, und die Reifen quietschten. Der Sicherheitsgurt schnitt in Charles’ Brust. Er kurbelte am Lenkrad und wendete auf der leeren Straße.
Was hat sie sich dabei gedacht?
Dann übermannte ihn ein neuer Gedanke, viel dunkler als der erste.
Was hast du getan?
Er fuhr zu der Stelle zurück, wo der Hillman von der Straße abgekommen war, wendete ein zweites Mal und lenkte den Stag an den Straßenrand, wo er den nachfolgenden Verkehr nicht behinderte. Er schaltete den Motor ab und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Musterte seine zitternden Finger.
War er etwa verantwortlich für den Unfall? Er hatte ihr helfen
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