Der Bann (German Edition)
die Zähne gefletscht, begann er leise und bedrohlich zu knurren. Plötzlich sprang der jüngere Hund auf Éva zu, und seine Kiefer schnappten in die leere Luft. Das Tier riss seinen Führer fast von den Beinen. Fluchend zerrte der Mann an der Kette.
Hannah riskierte einen Blick zu Vass. Er hatte die Vizslas beobachtet, und nun richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Gabriel und Éva. Seine Augen waren weit aufgerissen. Er leckte sich die Lippen.
Er weiß es.
Vass lächelte. «Sieh an, sieh an. Ich hätte im Smoking kommen sollen. Welch eine illustre Gesellschaft.» Er schob die Hand in die Tasche und zog einen Revolver hervor. Es war ein hässliches Ding, ein schwarzer Klumpen Metall. Mit den knurrenden, sabbernden Vizslas im Rücken machte Vass einen vorsichtigen Schritt auf Gabriel und Éva zu und musterte ihre Gesichter. «Genau wie wir», sagte er dann. «
Ganz genau
wie wir. Bitte setzen Sie sich doch. Sie alle.»
Hannah packte Leah bei der Hand, ging zum Tisch und setzte sich. Sie zog ihre Tochter auf einen Sitz neben sich. Gabriel und Éva nahmen die beiden verbliebenen Stühle.
Dicke Schweißtropfen standen auf Vass’ Stirn. Ein einzelner Tropfen lief an seiner Schläfe herab. Er warf einen raschen Blick zum
Signeur
. «Wie lange schon habe ich versprochen, Ihnen einen
hosszú élet
zu liefern?», fragte er. «Und jetzt haben wir gleich zwei davon.»
Der alte Mann beugte sich vor. Seine Augen glitzerten. «Bist du sicher?»
In diesem Moment erhob sich Éva. Die lavendelfarbenen Augen der Frau schimmerten dunkelrot, als sie nun Vass ansah. Als sie sprach, vibrierte ihre Stimme machtvoll. «Mein Name ist Éva Maria-Magdalena Szöllösi. Ich habe die Ehre,
Örökös Főnök
der
hosszú életek
zu sein. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werde ich die Letzte sein, die dieses Amt bekleidet. Ihr seid Eleni und damit verantwortlich für das Massaker an unseren Kindern und dem Genozid an unserer Rasse.»
Vass hielt ihrem Blick stand. «O nein», sagte er und schüttelte den Kopf. «Ich bin nicht verantwortlich für irgendein Massaker an irgendjemandem, Éva. Die Keulung, von der Sie sprechen, ereignete sich beinahe hundert Jahre vor meiner Geburt. Aber ich bin höchst erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Éva.» An den
Signeur
gewandt, fuhr er fort: «Das ändert alles. Wir müssen nicht einmal mehr auf Balázs Jakab warten.»
«Dann fangen wir an!», spuckte der alte Mann. «Und verschwinden wieder von hier, bevor er kommt!»
Vass musterte Gabriel unter erhobenen Augenbrauen hindurch.
Gabriel hatte sich erhoben und stand neben seiner Mutter.
«Ich nehme an, jetzt wollen Sie sich vorstellen?», fragte Vass.
Gabriels Stimme klang tonlos und gefährlich. «Mein Name ist Gabriel Mounir Szöllösi. Ich warne Sie dieses eine Mal, Benjámin. Sie glauben, Sie sind vorbereitet auf das, was hierher unterwegs ist. Das sind Sie nicht. Sie glauben, Sie verstehen Ihren Gegner. Sie verstehen nichts. Sie glauben, Sie werden heute hier die Oberhand behalten, weil Sie mehr Männer befehligen, mehr Waffen zur Verfügung haben. Sie irren sich. Eines jedoch ist sicher: Die Art und Weise, wie Sie sich heute im Verlauf dieses Tages verhalten, hat große Auswirkungen darauf, wie Sie ihn beschließen.»
Vass verdrehte die Augen. Er nickte dem Eleni-Lieutenant zu, der ihn vom Helikopter hierherbegleitet hatte, und deutete auf Hannah und Gabriel. «Fesseln Sie diese beiden hier an ihre Stühle. Und dann nehmen Sie das Mädchen und die Frau mit nach oben. Sperren Sie sie ein, in verschiedenen Zimmern.»
Hannah starrte auf den Revolver, den Vass so lässig in den Fingern hielt. Wie war es so weit gekommen? Das Monster, das ihre Mutter, ihren Vater und zuletzt ihren Mann ermordet hatte, war auf dem Weg hierher, an diesen Zufluchtsort, den sie so viele Jahre lang vor allen geheim gehalten hatte. Noch bevor sie sich auf diesen Gedanken konzentrieren konnte, musste sie sich einer weit konkreteren Gefahr stellen.
Deine einzige Sorge gilt Leah. Alles andere ist egal. Vass ist unberechenbar, unzurechnungsfähig und bewaffnet. Bring ihn nicht gegen dich auf. Kämpfe nicht gegen ihn – noch nicht. Wähl den Moment sorgfältig. Du hast möglicherweise nur diese eine Chance. Lass Leah los. Lass ihre Hand los, lass zu, dass sie sicher aus diesem Raum gebracht wird.
Als Hannah versuchte, sich aus Leahs Griff zu lösen, schrie das kleine Mädchen auf. Sein Klagen brach Hannah fast das Herz. Unbarmherzig bog sie Leahs Finger zurück.
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