Der Bann (German Edition)
«Geh mit dem Mann, Liebes. Dir passiert nichts. Ich verspreche dir, es ist alles in Ordnung.»
«Nein, Mami!
Nein!
»
«Frechdachs, hör mir zu! Erinnere dich an all die Dinge, die ich dir beigebracht habe. Erinnere dich an all das, was ich dir gesagt habe. Halte die Augen offen, okay? Sei tapfer, vertrau auf deine Instinkte. Alles wird gut, wenn du dich daran hältst, versprochen. Und jetzt geh.»
Mit weit aufgerissenen Augen und verängstigter, als Hannah ihre Tochter jemals gesehen hatte, erhob sich Leah von ihrem Stuhl. Der Eleni-Lieutenant ging mit einem Seil zu Gabriel und fesselte ihn an den Stuhl.
Als er sich Hannah zuwenden wollte, mischte sich Sebastien ein. «Benjámin, das ist barbarisch! Károly, du wirst einsehen, dass es absolut nicht notwendig ist –»
«Sebastien, bitte», flehte Hannah. Er setzte sein Leben für sie aufs Spiel, und sie würde es nicht ertragen, ihn auch noch zu verlieren. «Mach es nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist. Tu nichts Unüberlegtes.»
Sie setzte sich aufrecht in den Stuhl und ließ sich ohne Widerstand von dem Eleni fesseln. Das Seil schnitt in ihre Handgelenke, doch sie ließ sich um Leahs willen nichts anmerken.
Nachdem der Eleni sein Werk kontrolliert hatte, führte er Éva und Leah aus dem Raum.
Vass klatschte in die Hände. «Gut. Ausgezeichnet. Wir kommen weiter. Ich hoffe doch, wir sind immer noch alle Freunde?»
«Was wollen Sie von uns?», fragte Gabriel mit leiser Stimme.
Vass strahlte ihn an. «Also wirklich, Gabriel, hören Sie! Sie tun immer noch, als wüssten Sie das nicht? Sie sind ein
hosszú élet
! Sie sind wie die verzogenen Kinder, die nur die besten Spielsachen bekommen und sich halsstarrig weigern zu teilen. Ich kann ja verstehen, dass Sie uns gegenüber misstrauisch sind. Die Taten meiner altehrwürdigen Vorgänger waren in der Tat sehr roh, selbst wenn sie damals auf Anweisung der Krone handelten. Aber sie haben Sie beneidet, verstehen Sie? Alle, ohne Ausnahme. Sie haben Sie um Ihr langes Leben beneidet, und sie wurden misstrauisch wegen Ihrer Fähigkeit, sich mitten unter ihnen zu verstecken. Und um die Sache noch schlimmer zu machen – Sie wollten einfach nicht teilen.»
«Teilen? Was teilen?»
«Das Geheimnis natürlich.»
«Geheimnis?»
«Bestimmt sagt mir gleich wieder jemand, ich bin zu theatralisch, wenn ich nicht aufpasse. Ich rede über das Geheimnis, das Sie
nie
mit uns teilen wollten, schon bevor die Eleni ins Spiel kamen. Ich rede vom Geheimnis Ihrer Langlebigkeit.»
Gabriel öffnete den Mund zu einer Antwort, doch Vass hob den Revolver und wedelte damit vor Gabriel herum. «Ja, ja. Ich habe die Argumente alle gehört. Würden wir alle so lange leben wie Sie, wären wir in einer schweren Krise. Bevölkerungsexplosion und alles. Die Stabilität der Gesellschaft wäre gefährdet. Chaos und Anarchie würden ausbrechen. Vielleicht ist ja sogar ein Hauch von Wahrheit daran.» Vass zuckte die Schultern. «Zum Glück für uns alle will ich ja gar nicht, dass Sie Ihr Geheimnis mit einem größeren Publikum teilen. Es reicht schon, wenn Sie es
mit mir
teilen.»
Er zögerte, und ihm schien ein Gedanke zu kommen. Er sah den alten Mann im Rollstuhl an. «Verzeihen Sie mir,
Signeur
. Und mit Ihnen natürlich auch.»
Hannah hörte ein Scharren und einen dumpfen Schlag aus dem Zimmer über ihnen. Würde der Eleni-Lieutenant zuerst Leah oder Éva fesseln? Wahrscheinlich Éva. Was bedeutete, dass Leah als Nächstes an der Reihe war, in einem anderen Zimmer.
Vass zog ein schlankes Samtetui aus der Tasche und ging damit zum Küchentresen. Er legte den Revolver ab, warf einen schnellen Seitenblick auf Sebastien und schob sich die Waffe dann in den Hosenbund. «Ich hoffe, Sie sind nicht so tollkühn, es zu versuchen», sagte er. Er nickte dem Eleni mit den beiden Vizslas zu. Der Mann zog eine Pistole aus einem Schulterholster und starrte teilnahmslos auf Sebastien.
Zufrieden wandte sich Vass wieder dem Samtetui zu. Er öffnete es und nahm eine verchromte Spritze hervor. «Betrachten Sie mich als den Lehrer, Gabriel, der Ihnen zeigt, wie man seine Spielsachen mit anderen teilt.»
Vass machte einen Satz. Er packte Gabriel am Oberarm und rammte ihm die Nadel in eine Vene. Mit entblößten Zähnen und leuchtenden Augen zog er die Spritze bis obenhin mit Blut auf und riss sie wieder heraus. Gabriel brüllte auf vor Wut.
Vass ignorierte ihn und hielt die Spritze ins Sonnenlicht. Die tiefrote Flüssigkeit reflektierte rubinrote
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